Die FPÖ versucht Schritt für Schritt die Macht in Österreich zu übernehmen. Kritische Journalist/ innen werden mit Klagen, der ORF mit Interventionen zugedeckt, FPÖ-nahe Aufsichtsräte werden installiert, Menschen sollen polizeilich bespitzelt worden sein, weniger Staat gibt es im Sozialbereich und bei der nötigen Infrastruktur, mehr Staat dort, wo es um Überwachung geht.

Und Kanzler Schüssel sitzt mit versteinertem Gesicht da, als verkündet wird, dass die - ohnehin lächerlich niedrige - Ausländer/innenquote nun doch nicht angehoben wird. Die FPÖ, genauer gesagt, Jörg Haider, hat sich dagegen gewehrt. Haider war es auch, der Studiengebühren gefordert hat. Jetzt versucht Unterrichtsministerin Gehrer zu erklären, warum sie immer schon dafür gewesen ist.

Ziemlich scheinheilig

Das Ausreizen demokratischer Spielregeln macht noch keine Demokratie. Und: Auch wenn in der alten Regierung - übrigens ebenfalls unter Beteiligung der ÖVP - einiges an Machtaneignung gelaufen ist, der gravierende Unterschied besteht in der Unverfrorenheit, mit der man nun überall durchgreift und Gegner/innen bekämpft. Aber offenbar regt das die meisten Menschen nicht auf. Entweder es wird die Realität nicht erkannt oder sie wird zumindest hingenommen. Stattdessen empören sich Bildungsbürgertum, Kirchenvertreter/innen und Kurator/innen über Reality-TV. Je nach Blickwinkel wird der Untergang des kulturellen Abendlandes beklagt oder der öffentlich-rechtliche Auftrag des ORF beschworen. In der letzten Sitzung des ORF-Kuratoriums redete man offenbar länger über "Taxi Orange" als über Interventionen und Bespitzelungen.

Selbst Bischof Kapellari predigte gegen die Mischung aus "Kommerz und Triebstrukturen" - beim letzten Sozialsparpaket hat er nicht so deutliche Worte gefunden. Und der an sich gesellschaftspolitisch wache Caritas-Präsident Küberl gab doch tatsächlich zu bedenken, dass es leider immer mehr Einzelkinder gäbe und so die "Geschwisterlichkeit" abhanden käme. Kinder machen statt "Taxi Orange" schauen?

Ich gebe zu, ich war von der Idee, Menschen in ein Haus zu sperren und sie bei (fast) allem beobachten zu lassen, nicht besonders angetan. Und mir gefiel es nicht, dass eine Pseudogemeinschaft jede Woche jemanden hinauswerfen muss, bis eine/r gewonnen hat. Entsolidarisierung, Mobbing und das Recht des Stärkeren gehören nicht auch noch gefördert. Aber, egal, was die Intention der Erfinder war: "Taxi Orange" hat sich anders entwickelt. Und wenn ich am Abend zu Hause bin, dann sehe ich es mir gerne an (wird es langweilig, lese ich nebenbei die Zeitung).

Immer anspruchsvoll?

Jedenfalls gibt es viel mehr Gemeinschaft als Konkurrenz. Bösartige könnten behaupten, man streichle einander eben lieber tot. Natürlich ist nicht alles, worüber gesprochen wird, "intellektuell anspruchsvoll", aber sind wir alle immer intellektuell anspruchsvoll, und wer wollte das ertragen? Es freut mich, wenn hin und wieder Frauenpower aufblitzt, es ärgert mich, wenn Rollenklischees vorgelebt werden. "Taxi Orange" ist eben kein Programm mit feministischem Anspruch. Es spiegelt einen Ausschnitt der Realität wieder, an ihrer Veränderung gilt es zu arbeiten. Manchmal fühle ich mich angesprochen, manchmal ist es interessant zu hören, was Menschen sagen, mit denen ich wenig Berührungspunkte habe. Immerhin reden die Kandidat/innen von "Taxi Orange" miteinander, und das ist mehr, als von den meisten Familien behauptet werden kann. Ob das damit zu tun hat, dass es in der TV-WG keinen Fernseher gibt? (Und hat sich der ORF mögliche Folgewirkungen überlegt?)

Jedenfalls gibt es Sendungen, die weniger mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag zu tun haben. Oder habe ich da bei den diversen Action-und Horrorfilmen etwas übersehen? Im Übrigen: Voyeuristische Ausbeutung findet bei Sendungen wie "Vera" oder der "Barbara-Karlich-Show" allemal häufiger statt.

Echt suuuupa

Bei "Taxi Orange" mitzutun, basiert auf Freiwilligkeit. Es gibt zweifelhaftere Formen der Selbstbestimmung: Die Firma Metro etwa hat in Oberösterreich nun bis 22 Uhr geöffnet. Die Verkäuferinnen arbeiten freiwillig so lange, heißt es. Wenn es wenige Chancen auf einen anderen Arbeitsplatz gibt, was bleibt ihnen übrig?

Aber zurück von der Realität zum Reality-TV: Der ORF schneidet die Höhepunkte zusammen, komprimiert also quasi die Realität. Ob es auf Sendung ginge, wenn, sagen wir einmal, Andrea, meldete: "Die FPÖ ist echt Oarsch."? Und sollte es tatsächlich gesendet werden? Westenthaler & Co. würden wohl empört unter Hinweis auf den öffentlich-rechtlichen Auftrag die Absetzung der Sendung verlagen. Die FPÖ-Kritiker/innen . . . sie könnten wohl ihr Herz für "Taxi Orange" entdecken.

Oft hängt Meinung eben mit persönlicher Befindlichkeit zusammen. Das merkt man ja auch im Fall des ehemaligen FPÖ-Gewerkschafters Kleindienst. SPÖ und Grüne sind ihm früher - was ich gut verstehen kann - mit großer Skepsis begegnet, jetzt ist er ihr Kronzeuge für die Spitzelaffäre. Natürlich sind die Vorwürfe aufzuklären, mehr noch: Andere Staaten hätte allein der Vorwurf bis in die Grundfesten erschüttert. Aber man hat offenbar bei uns mit den Ungeheuerlichkeiten der politischen Realität zu leben gelernt - um sich aufzuregen, hat man ja Reality-TV. Wie sagt Linda doch so treffend (wenn sie gerade einmal nicht heult): "Suuuuupa!"

Eva Rossmann ist Autorin und Publizistin in Wien.