Manfred Pils

Aus umweltpolitischer Sicht muss man natürlich gegen das Atomkraftwerk Temelín sein - so wie gegen jedes AKW auf der Welt. Es gibt keine "guten" und "bösen" Kernkraftwerke. Wer diese Unterscheidung im Hinblick auf den viel zitierten "Sicherheitsstandard" akzeptiert, ist bereits der Atomlobby auf den Leim gegangen: Noch ein paar zusätzliche Investitionen, und schon ist der Kritiker mundtot.

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Kernkraftwerke sind ein unhaltbarer Risikofaktor für Natur und Mensch, die Entsorgung des verstrahlten Mülls ist nicht gelöst. Als "ökonomisch" kann man das nur deshalb verkaufen, weil genau diese (potenziellen) Kosten in die Kalkulation nicht eingehen, sondern von der Öffentlichkeit getragen werden müssen.

Trotzdem haben sich nun in Tschechien nach langem innerstaatlichem Tauziehen die Kraftwerksbefürworter mit einem demokratischen Beschluss durchgesetzt. Temelín, mithilfe von westlichem Kapital und westlicher Technologie gebaut bzw. "nachgerüstet", wird in Kürze den Vollbetrieb aufnehmen. Das weiß man auch in Österreich schon seit einigen Jahren. Abgesehen von wenigen halbherzigen Angeboten gab es aber so gut wie keine Strategie, unsere Nachbarn für eine alternative Stromerzeugung zu gewinnen. Dies hätte auch einen europäischen Konsens erfordert, doch eine rechtzeitige Koordinierung der EU-Partner wurde gar nicht erst versucht - und ist auch weiterhin nicht in Sicht. Stattdessen herrscht zwei Wochen vor dem Einschalttermin große Aufregung, als hätte Tschechien plötzlich einen ungeschriebenen Vertrag mit Österreich gebrochen.

Man stelle sich die Sache nur einmal anders herum vor: Österreich stünde vor dem EU-Beitritt und wollte ein Atomkraftwerk oder irgendeine andere Giftfabrik in Wels eröffnen: Bayrische Bürger blockieren wochenlang die Grenze, der deutsche Bundeskanzler macht den Beitritt Österreichs von der Stilllegung des Werkes abhängig . . . - ein Aufschrei ginge durchs Land, und eine Volksbefragung über den EU-Beitritt hätte sich dann wohl erübrigt.

Glauben unsere Politiker denn wirklich, dass man demokratisch gewählte Regierungen von außen unter Druck setzen und erpressen kann, Beschlüsse nicht zu vollziehen? Gerade diese Regierung müsste es besser wissen. Wenn man erreichen wollte, dass sich noch der letzte tschechische Atomgegner hinter seine Regierung stellt - treffsicherer hätte man gar nicht agieren können.

Langsam muss man allerdings die Frage stellen, ob es den offiziellen "Temelín - nein, danke"-Rufern tatsächlich noch um die Verhinderung eines Kraftwerks geht. Was hat das AKW in Temelín mit dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union zu tun? In tschechischen Medien ist schon zu lesen, dass Österreich einen neuen Eisernen Vorhang aufziehen möchte. Gemeinden im Mühlviertel wehren sich plötzlich dagegen, lange angestrebte Grenzübergänge für Wanderer zu eröffnen; Schüler werden zur Grenze gekarrt (nachdem man ihnen in Oberösterreich für die Teilnahme an den Besetzungen sogar unterrichtsfrei gegeben hat!). Jetzt wissen sie zwar nicht, was Atomkraft ist, aber dass "die Tschechen" gefährlich sind.

So wurden gekonnt Emotionen geschürt - und Jörg Haider kassiert den Erfolg. Das "einfache Parteimitglied" der FPÖ kommt wie immer mit dem Hubschrauber, badet in der Menge in Wullowitz und kündigt im Plauderton ähnliche Maßnahmen an der Südgrenze an. Schon seltsam - wenn es gegen "die in Brüssel" geht, ist man kritisch, wenn es um die EU-Außengrenze gegen die "Slawen" geht, kann man gar nicht fest genug zur Union gehören.

Glaubt man im Bundeskanzleramt wirklich, die anderen Mitgliedsstaaten der EU werden sich "wie ein Mann" hinter Österreich stellen und Schüssel zu seiner Standfestigkeit gegen Temelín applaudieren? Tatsächlich katapultiert sich die Republik mit solchen Aktionen nur endgültig ins außenpolitische Abseits.

Für Europa ist das kein besonderer Schaden, für Österreich schon. Denn ob das Land mit dieser demonstrativen Art von "Volksnähe" sein Negativ-Image los wird, erscheint mehr als fraglich.

Temelín - ein Fest für den Populismus, eine weitere Niederlage für die europäische Umweltpolitik - und für Österreichs Außenpolitik. Danke für Ihr Vertrauen.

Manfred Pils ist Generalsekretär von "Naturfreunde International" und Mitglied des europäischen Koordinationsgremiums der Umweltverbände ("Green 8").