Thomas Belazzi

"Soweit es die derzeitige Bewertung und das Management von Chemikalien betrifft, bekommt man sehr leicht den Eindruck, daß Chemikalien mehr Rechte haben als Menschen." (EU-Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard am 21.5.1999)

Bjerregaards Kritik trifft den Nagel auf den Kopf: Die EU-Gesetze behandeln selbst erwiesenermaßen gefährliche Chemikalien, als wären sie harmlos, und lassen es zu, daß sie weiter - selbst in Konsumprodukten - verkauft werden dürfen.

Die lahme EU-Chemikalienpolitik ist auch mitverantwortlich für die aktuellen Skandale im Zusammenhang mit Umweltgiften wie die Trafo-Öl-PCBs (polychlorierte Biphenyle) und das Dioxin in Futtermitteln. Die breite Streuung der Gefahrenherde resultiert daraus, daß Dioxin sowohl bei der Produktion und Entsorgung vieler Chlorverbindungen entsteht, als auch - als produktionsbedingte Verunreinigung - direkt im Produkt enthalten ist.

Neben Dioxin belasten aber noch viele andere Dauergifte Umwelt und Nahrung. Zu diesen bisher wenig beachteten Chemikalien zählen etwa die den PCBs sehr ähnlichen PBBs (polybromierte Biphenyle) und andere bromierte Flammschutzmittel sowie eine Reihe von Chlorpestiziden. Diese haben die gleichen gefährlichen Eigenschaften von Dioxin & Co - schlechte Abbaubarkeit und Anreicherung über die Nahrungskette - und verursachen vielfältige Gesundheitsschäden.

Was soll also geschehen, damit zukünftig weniger (und langfristig: gar nichts mehr) "passiert"? Die EU-Umweltminister haben es ab 24. Juni beim Umweltministerrat in Luxemburg in der Hand, endlich die Weichen für eine vorsorgende Gesundheitspolitik zu stellen. Die Forderungen sind klar: Chemikalien müssen zuerst aufgrund ihrer Gefahrenmerkmale (etwa krebserregend) und nicht aufgrund von Risikoabschätzungen bewertet werden; danach sind umgehend entsprechende politische Maßnahmen zu setzen (derzeit dauern die entsprechenden Verfahren jeweils mehrere Jahre); Chemikalien dürfen weiters nur dann vermarktet werden, wenn alle toxikologischen Daten vorliegen; und: Chemikalien dürfen nur für bestimmte Anwendungen und limitierte Zeiträume zugelassen werden, wie dies etwa bei Pestiziden schon seit vielen Jahren üblich ist.

Der derzeitige Zustand ist eindeutig gesundheitsgefährlich: 100.106 (!) Chemikalien sind in der EU offiziell registriert, von den meisten gibt es nicht einmal eine vollständige Übersicht ihrer toxikologischen Eigenschaften. Trotzdem dürfen sie uneingeschränkt verwendet werden.

Es ist daher nicht überraschend, wenn PCBs und Dioxin zum Beispiel in Futtermitteln in alarmierend hohen Konzentrationen nachgewiesen werden.

Für die anderen Umweltgifte gilt, was bis vor Bekanntwerden des belgischen Dioxinskandals gegolten hat: Die Behörde sucht nicht danach, daher findet sie auch nichts. Und die Chemiekonzerne, die in großflächigen Inseraten immer ihre hohe Eigenverantwortung und die strenge Selbstkontrolle ("Responsible Care") betonen, nutzen das gesetzliche Vakuum voll aus.

Zur versagenden Chemikalienpolitik gesellt sich somit auch eine ebenso schlechte Kontrolle von Futter- und Lebensmitteln. Wen wundern da noch die ständig wiederkehrenden Umweltskandale und die zunehmende Verunsicherung der Konsumenten? Es ist höchste Zeit für Menschenschutz statt Chemikalienschutz.

Dr. Thomas Belazzi ist
Chemiker und Mitarbeiter von
Greenpeace Österreich.