George Washington ist der erste abendfüllende Film des 1975 in Texas geborenen David Gordon Green. Vorher drehte er Dokumentarfilme - ein Begriff, der von Franz Rickenbach schon wieder in Zweifel gezogen wird ("Es muss Filmdokument heißen", sagte er, und: "Ich liebe die Menschen"). Die letzte Bemerkung lässt an Amerika denken, wo "man" die "Menschen" lieben muss, ein Gebot, das die Anonymität mit der puritanischen Haltung im "man" versöhnt. Wenn diese Menschen wie in George Washington noch sehr jung und von einer heruntergekommenen Kleinstadt geprägt sind, verfallen sie leicht der Suche nach Utopien, gemeinsamen Utopien, wollen sich rascher und eindeutiger definieren, als es glücklicheren und selbstgewisseren Gleichaltrigen möglich ist. Der 13-jährige George will in einem Superman-Kostüm ein guter Mensch sein. Supermänner, Superhelden: USA. Und die vorerst noch "cooleren" Mädchen sehen zu und lassen die Unsicherheit für die Jungen verzehrend werden. In einem seiner stillen, voneinander wie vom Dunkel im Moment des Umblätterns eines Comic getrennten Szenen zeigt Green eine Parade am Unabhängigkeitstag. Wer ist da unabhängig? Die halbwüchsigen Mädchen offenbar eher als die halbwüchsigen Jungen. Alles ist eben halb: halb-stark, halbschwach, halbseiden. Das steuert unvermeidlich auf die gefährliche Lust am Ganzen zu, auf die Suche nach Totalität und Eindeutigkeit (wie in Hartmut Bitomskys Film Reichsautobahn ). Die Kinder in dem Film wachsen, wenn sie Glück haben, bei halbwegs netten Verwandten auf, kaum bei den Eltern. Ihre Kraft ist zu groß - ein Spielgefährte verunglückt, herumgestoßen, in einem Waschraum. Die Zeugen, unter ihnen George, sind irritiert und wollen doch vor allem eines: jung sein, weiterleben. Das Problem der Jungen: diese Kraft, die später so leicht nachlässt, im verachteten "Alter"; kleine Befürchtungen wie die, auf der Straße zu stürzen, vor Passanten, die in Eile sind und die über jeweilige Gestürzte vorsichtig drübersteigen, um ihre Schuhabsätze zu schonen. Das ist Alter. Aber was ist Jugend? Nichts wird im Augenblick zwischen Paris, Texas, und Vienna, Austria, so militant gefordert wie Jugend. Mit 18 gilt man schon als uralt. Aber weshalb gilt Jugend als schön? Nur, weil sie nicht wiederkommt? Ist es nicht eher, wie in diesem Film, eine einsame und ziemlich verzweifelte Zeit? Die Jugendlichen darin erkennen den eigenen Wert oft nur schemenhaft, doch sie hängen am Wahn "Jugend". Unnachgiebig. Vielleicht rührt der Erfolg des Jugendkults daher: Jugend ist leichter verwendbar, ist viel eher eine Industrie, die den Wahn benützt. Alle durchlaufen begeistert und hoffnungsfroh die Stanzmaschine Jugend, werden dabei älter und lehnen sich, älter werdend, selbst ab. Jeder neue Tag gefährdet sie. Angst. Die Angst, die Stimme könnte wegbleiben, kennt man von Sängern. Das Leben aber - das bleibt ohnehin von selbst weg. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22. 10. 2000)