Konzipiert man einen Genrefilm, arbeitet man mit einer Palette von vertrauten Motiven und Handlungssplittern. Gleichzeitig tut man gut daran, Variationen sowie neue Blickwinkel und Zugänge anzubieten. In einem theoretischen Extremfall hat der Zuschauer zwar alles schon dutzendmal gesehen, aber so absolut noch nie. Der Krimi Injong sajong polkot opta ( Nowhere to Hide ) das Südkoreaners Lee Myung-se ist da nahe dran. Eine zivile Spezialtruppe der Polizei jagt einen gefährlichen Gangster. Diese Truppe ist - wie in einigen französischen Policiers speziell der Siebziger und Achtziger Jahre oder in William Friedkins To Live And To Die In L.A. - zu einer zynischen, stets zu Schlägereien bereiten verwahrlosten Truppe mutiert, die sich um zwei "God-Cop-Bad-Cop"- Charaktere gruppiert. Verdächtige und mögliche Mitwisser werden grundsätzlich einmal gefoltert - mit der temporär angezweifelten, dann wieder umso mehr versicherten Begründung, dass sie es sind, die die dreckigsten Aufgaben übernehmen und sich daher an gängige Regeln nicht zu halten haben. Um die Wesensähnlichkeit beider Seiten zu unterstreichen, taucht nach dem ersten Filmdrittel das obligatorische Mädchen auf, das als Barsängerin das Liebchen von Outlaws jederlei Coleur sein könnte. Beim großen Showdown schließlich ist der Welt des Regulären ohnehin nur ein Zuschauerplatz zugewiesen. Bis sich diese nicht eben neue Handlungsstruktur etabliert hat, war man freilich schon einem ebenso heftigen wie variantenreichen Gewitter in Bild und Ton ausgesetzt. Auf ins Weiße hinein abstahiertes Scharzweiß folgen übersatte Farben und Monochrome. Zeitraffer, Standbilder, Stroboskope und Zeitlupen verdrängen beinahe die Echtzeit. Metal-Gitarren preschen zeitweise vor; und wenn die Musik weicher ist, kann das sowohl zur Untermalung einer besinnlicheren Szene wie der einer Gewaltorgie dienen. Warum so ein Design-Gewalt-Crossover heute außerhalb der USA überhaupt noch entstehen kann, hat mit der spezifischen Situation Südkoreas zu tun. Dort blieb die Regierung hartnäckig dabei, eine hohe Quote an einheimischen Produktionen in den Kinos als verpflichtend vorzuschreiben. Das US-Kino mit seiner abgeschwächt weiter bestehenden Genrefixiertheit erhält dadurch jeweils koreanische Spiegelungen, wo andere asiatische Filmnationen von leicht (etwa Hongkong) bis gänzlich (etwa Japan) dem direkten Duell ausweichen (von Europa ganz zu schweigen: Auch Frankreich scheint aufzugeben). Welche Bandbreite an Handlungen und Genres das südkoreanische Kino dabei in überzeugender Weise abzudecken imstande ist, ließ sich im Herbst vorigen Jahres in Wien bewundern: bei einer leider sträflich gering besuchten koreanischen Filmwoche. Bei allen Elementen der Spiegelung bleiben in Injong... lokale Nuancierungen bestehen: Sentimentalen Szenen sind häufiger, und es wird ihnen mehr Raum eingeräumt als in den diesbezüglich abgeschlankten US-Produktionen, die Macho-Pose des "Mannes in seiner Einsamkeit" wird wenig strapaziert, die Sexszene des US-Standards fehlt. Auf der anderen Seite gibt es die aus den alten Hongkong-Actionfilmen vertraute Klamauk-Beigabe in der Handlung selbst nicht mehr, wohl aber durch Hintertürchen wie den Zeitraffern und den überzeichneten Hauptgegenspielern: Ein betont höhlenmenschartig daherstapfender Polizisten jagt einen Gangster, dessen Eleganz der von Delons Samourai nahekommt. In Benützung von Bild und Ton wird im Vergleich mit Designer-Action früherer Baujahre sehr deutlich, wie sich das Perfektionsniveau der Kino-Oberliga durch neue Technologien gehoben hat. In seinem übereifrigen Bemühen um Überbieten des internationalen Levels produziert Lee Myung-se nicht wenige primär amüsante Manierismen, aber auch wirkliche Schönheit: Beim Verwenden der Stadtlandschaft Seouls alleine etwa. Oder bei der Grundidee, die Handlung in einen regnerischen Winter mit gesonders gatschigem Showdown zu verlegen, und daher mit grellgelben Herbstblättern einzuleiten und mit zartgrünen des Frühlings abzuschließen. Injong... ist vor allem auch eine Visitenkarte. Nicht ohne Grund hofft und vertraut das US-Kino seit Jahren auf Blutauffrischung durch Import von Asiatica. John Woo ist mittlerweile in "High Concept"-Sphären entschwebt, somit wäre im Action-Sektor ja ein Plätzchen frei. Nachdem Injong... beim koreanischen Filmfestival von Pusan '99 für Furore gesorgt hat, kommen aus den USA auch schon die ersten Rückmeldungen, die sich auf "WOW!" subsumieren lassen. Schön wäre es halt, wenn dieses "WOW!" in Reinform hierzulande nicht nur Besitzern von DVD-Breitwänden vorbehalten bliebe...