Filme, die bei der Viennale 2000 vollkommen zu Recht vom Publikum sehr gut aufgenommen wurden, gab es - soviel lässt sich nach zwei Dritteln des Programmes schon sagen - eine ganze Menge. Dennoch, was sich in der Samstagnachmittag- Vorstellung von Tillsammans abspielte, hatte eine andere Qualität: War das Publikum schon während der ganzen Vorstellung sehr emotionell bis gelinde hysterisch mitgegangen, brauste mit dem Abspann Applaus auf, der weit über das bloße Anerkennen hinausging. Und das bei Abwesenheit des Regisseurs. Und am Freitag spätabends war es vergleichbar gewesen. Die Spannung und die Erwartungen waren nach Fucking Åmål , dem fulminanten Spielfilm-Erstling des 31-jährigen Schweden Lukas Moodysson, im Vorfeld hoch gewesen, entsprechend wahrscheinlich ein Gefühl der Enttäuschung. Zumal Moodysson für den bekannt "schwierigen" Zweitfilm hoch gezielt hatte: War Åmål noch in einem thematisch abgesichert eingegrenzten Terrain angesiedelt - Gegenwart, Kleinstadt, Erwachen der Gefühlswelt von Teenagern rund um ein Coming-Out -, versucht er sich in Tillsammans an einem Gruppenportrait, an einem Panorama eines Teils der schwedischen Gesellschaft der Siebziger Jahre. "Tillsammans" ("Zusammen") heißt eine hippieske Kommune in einem viel zu engen Einfamilienhaus im Jahre 1975. Gerade haben die Bewohner, die sich zumindest einmal als Speerspitze einer sozialutopistischen Weltrevolution verstehen, auf das Ableben von Diktator Franco angestoßen, da wird es bei ihnen noch enger: Des inoffiziellen milden Häuptlings große Schwester, eine eben von ihrem saufenden Ehemann verprügelte kleinbürgerliche Hausfrau, stößt mit ihren Kindern hinzu, einem 13-jährigen stillen Mädchen mit dicken Brillengläsern und einem bockigen jüngeren Bruder, einer Art Klein-Moodysson. Mit einem leichten Übergewicht auf dem Blickwinkel der beiden Kinder zieht in der Folge ein Handlungspanorama vorüber, das seine Situationskomik und viele sentimentale Momente aus den eingebauten Widersprüchen einer alternativen Wohngemeinschaft bezieht. Es gibt permanent Klüfte zwischen Wort und Tat. Proklamierte offene Beziehungen im Widerspruch zu Gefühlshaushalten. Coming-Outs zwischen Experiment und Wirklichkeit. Balanceakte zwischen Zivilisation und "Mutter Natur", zwischen Anpassung und Aufstand, zwischen Konsum und Verweigerung. Und, was man zumindest aus der Premierenstimmung schließen kann: Lukas Moodysson schafft es in Tillsammans hervorragend, die Kurve zu kratzen. Trotz einer großen versöhnlichen Stoßrichtung bleibt er auf der realistischen Seite eines Idealismus. Eine Händereichung der Kommunarden zur Welt der Bürgerlichen kann gelingen, weil es auf beiden Seiten auch Opfer gibt. Weil auf Persönlichkeiten, die sich entwickeln, auch solche kommen, die zerfallen. Weil auf Figuren, die zum "Zusammen" streben, auch solche kommen, die in die Vereinsamung abdriften. Auch wird der Versuchung widerstanden, zu sehr auf den Oberflächenreiz der modischen Siebziger Jahre zu vertrauen. Speziell durch das emotionelle Heranwachsen der Halbwüchsigen wird, wie etwa auch in Ang Lees thematisch verwandtem Ice Storm , eine Menge an Zeitlosem vermittelt. Letztlich handelt es sich bei Tillsammans um ein aufmunterndes Plädoyer für ein Wertegebäude aus Toleranz und Freundschaft, das von Teilen des gegenwärtigen offiziellen Österreichs wohl nur als "schlimmste Ausprägung eines extremistischen Gutmenschentums" bezeichnet werden könnte. Und vielleicht war genau das auch Teil des Erfolgs der hiesigen Uraufführung...