Sehr geehrter Herr Rektor! Wie alle Universitätsangehörigen habe ich als Lektor der Politikwissenschaften Ihren Spendenaufruf vom April d. J. erhalten und erachte eine Unterstützung der Tätigkeit der Organisation Ärzte ohne Grenzen im gesamten Krisengebiet für durchaus sinnvoll.

Vor allem nach dem nunmehr erreichten Waffenstillstand möchte ich mich aber mit der Frage an Sie wenden, ob die Universität Wien mit einer Spendenaktion nicht ein Zeichen setzen könnte und sollte, das über die bloße Hilfe hinaus auch einen Beitrag zur Entwicklung friedlicher Lebensbedingungen in der gesamten Region leistet.

Eine derartige Entwicklung am Balkan kann meines Erachtens nur unter Einbeziehung Jugoslawiens in gemeinsame regionale und europäische Perspektiven gewährleistet werden. Dies wird zwar auch von vielen Kommentatoren und Experten immer wieder betont, praktische Konsequenzen daraus sind aber bisher, vor allem in Österreich, kaum gezogen worden.

Chance zur Förderung . . .

Ich meine, daß der jüngste Waffenstillstand wieder eine Chance bietet, auch parteiunabhängige zivile Initiativen in Jugoslawien zu unterstützen. Noch vor dem jetzigen Waffenstillstand, Anfang Juni, haben etwa eine Reihe zivilgesellschaftlicher Gruppen - darunter das Serbische Helsinkikomitee, jugoslawische Frauen- und Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften, auch wissenschaftliche Vereinigungen wie das Belgrader Frauenforschungszentrum oder das Alternative Studiennetzwerk - ein gemeinsames Programm zur interethnischen Verständigung, auch und vor allem über die Zukunft des Kosovo beschlossen, das unter anderem die Einrichtung eines regelmäßigen Gesprächsforums mit Vertretern der albanischen Zivilgesellschaft plant.

Ich bin der Ansicht, daß derartige zivilgesellschaftliche Initiativen, oder unabhängige Medien wie etwa Radio B 92, die aufgrund der Kriegsereignisse enteignet oder eingestellt wurden, einen wesentlichen Beitrag zu einer friedlichen Entwicklung leisten könnten.

. . . von Medienfreiheit und Demokratie

In den vergangenen Jahren wurde - mit wenigen Ausnahmen - eine Unterstützung derartiger Initiativen, vor allem von offizieller Seite, immer von einer Demokratisierung Jugoslawiens abhängig gemacht: Vielleicht könnte sich diesmal, unter dem Eindruck der jüngsten Kriegsereignisse, der Umkehrschluß durchsetzen, daß diese geforderte Demokratisierung vom Funktionieren einer zivilen Gesellschaft und unabhängiger Medien abhängt.

Ich wende mich deshalb - nachdem die Spendenaktion bis Ende des Monats läuft - auf diesem Wege an Sie, sehr geehrter Herr Rektor Dr. Greisenegger, um eine Diskussion der Frage anzuregen, ob nicht wenigstens ein Teil der Spenden der Entwicklung der zivilen Gesellschaft in Jugoslawien gewidmet werden sollte.

Damit könnte die Universität Wien meines Erachtens einen Beitrag leisten, der in seinem symbolischen Engagement über die Hilfsbereitschaft der vielen derzeit laufenden Spendenaktionen hinausreicht und im unabhängigen Sinne für eine politische Lösung der Balkankrise Partei ergreift, die über die bloße Pazifizierung hinausgeht - eine, wie ich meine, einer Universität durchaus angemessene Perspektive.

Andreas Pribersky, Universitätslektor für Politologie, leitet die Sozialwissenschaftliche Abteilung des Ost- und Südosteuropa-Instituts in Wien.