"Viechelen", nennt der Kärntner Wildbiologe liebevoll "seine" Tiere. Hubert Zeiler kennt sich aus mit heimischen Wildtieren - vom Hasen an aufwärts. Beim Marsch durch das Krimmler-Achental, im Westen des Nationalparks Hohe Tauern gehören Zeilers erste Gedanken den Murmeltieren, die hier, unterhalb der Dreiherrenspitze (3499 m), gut versteckt Ausschau halten und hin und wieder einen pfeilspitzen Pfiff durchs Tal lassen.

Der Biologe im ledernen Beinkleid erzählt von einer Zeit, da das Murmeltier wie auch das Steinwild und anderes Getier beinahe zur endgültigen Reise in die ewigen Jagdgründe antraten. Steinböcke waren es gar nur mehr 200 an der Zahl. Manch Weidmann sah diese Tiere als eine Art Apotheke zur Beschaffung von Wundermitteln gegen Schwindel, Herzschwäche und andere Wehwehchen. Selbst als Talisman und Schutz gegen Gewehrkugeln mussten ihre Körperteile herhalten. Schließlich nahm sich der italienische König der Steinböcke an und setzte ihren Abschuss unter Galeerenstrafe.

Heute kraxeln, nach erfolgreichen Wiedereinbürgerungsversuchen, wieder einige Tausend Steinböcke und Geißen samt Zickleinschar in Österreichs Felswänden umher. Während der Wissenschafter durch sein Fernglas späht, berichtet er über sein besonderes Interesse an den kleinen Fellpfeifen, den Murmeltieren. Jägersmann nennt übrigens den Murmelsprössling Affe, die dazugehörige Mutter Katze und Vatern wird gar zum Papa Bär.

Die hörnchenartigen Nager seien, so Zeiler deshalb so "irrsinnig" bemerkenswert, weil ihre Körpertemperatur im Winter auf ein paar, sehr wenige, Grade absinkt. Zusammen gekuschelt bilden die Murmeltiere dann einen Haufen "Wärmeflaschen", die so anscheinend gemütlich dem Kältetod trotzen. Und das tun sie besonders gern hier im Nationalpark, fernab von mit Kartoffel-Chips bewaffneten Touristenhorden.

Das Gebiet hier am Krimmler Kees, Kees ist das einheimische Wort für Gletscher, lässt den Biologen eine Art Sechsten Sinn wieder finden. Die Region steht für Ursprung, Härte, Dynamik, Mangel und Überlebenskunst.

Der Krimmler Kees präsentiert außerdem auf nur einem Kilometer, gleich einem Schaustück der Naturgeschichte, wie Europa vor Tausenden von Jahren ausgesehen hat. Ganz oben klebt das vielleicht gar nicht so ewige Eis, ihm folgt der blanke Fels, der in eine Gerölllandschaft mündet, die aussieht, als hätte der Gletscher einen Riesenhaufen kantiger Murmeln ausgespuckt. Manche der Steine sind dunkelrot und wirken, als würden sie rosten, soviel Mangan und Eisen tragen sie in sich. Im nächsten, jüngeren Streifen trauen sich die ersten Sträucher aus der Erde. Sie bilden die Vorhut zum Nadelwald. Der gibt sich, von weit oben betrachtet, wie ein ordentlicher dunkelgrüner Bürstenhaarschnitt.

Eine kurze Verschnaufpause nutzt der Biologe, um auf eine, hier ihr zähes Dasein fristende, Landkartenflechte hinzuweisen. Die Mischung aus Alge und Pilz ist ein münzgroßer, grünlicher Flecken, der vielleicht schon 100 Jahre auf demselben Stein pickt.

Nach der Jause liefert dann das gerade aktuelle Thema Rehbrunft reichlichen Gesprächsstoff: Äußerst turbulent geht es da bei Herrn Bock und Frau Geiß her. Sie liefern sich heiße Verfolgungsjagden um Bäume, die Geiß vorneweg, der verliebte Bock hinterher. Die etlichen Umrundungen, zum Beispiel einer 400-jährigen Zirbe, hinterlassen kreisrunde Spuren im Waldboden. Lange Zeit erklärte man sich diese Trampelpfade mit wüsten Hexentänzen.

Nach der Überquerung der sprudelnden Krimmler-Ache kramt der Wissenschaftler schließlich ein paar Federn eines Raufußhuhnes aus seiner Hosentasche hervor. Die robusten, auch im Nationalpark ansässigen Vögel tragen wegen der zeitweise extremen Kälte dichte Daunenjacken. Eine nordische Sage prophezeit, dass irgendwann mal Schluss sein wird mit dem Leben auf diesem Planeten. Das sei dann die Stunde der Schneehühner, so die Legende, denn die würden als einzige überleben. Diese wetterfesten Vögel haben außerdem zwei besondere Blinddärme. Diese befähigen das Huhn, Nahrung ein zweites Mal aufzuschließen. Das heißt, jedes Körnchen wird verdauungsmäßig bis aufs Letzte genutzt.

Mit dem Ausruf "Ah scho wieder a Murmele" setzt Zeiler die Wanderschaft fort, bis er sich plötzlich an einen anderen, ebenfalls wiedergeborenen Stolz dieser Wildnis erinnert - den Jason-King der Lüfte: Der Bartgeier bringt es mit seinem charakteristischen, seltsamen Schnurrbart auf eine Spannweite von bis zu 2,70 Metern. Lange Zeit gab er große Rätsel auf: In der Natur gleitet er rotbraun durch die Lüfte, im Zoo hingegen trat er nur mit blütenweißer Weste auf. Die Lösung war schließlich ein Suhlbecken, denn der Vogel färbt sich gern mit Staub und Schlamm.

Und während der Laie, sicheren Schritt suchend, weitertappt, findet der Kenner neben dem steilen Weg wieder ein Federchen eines dieser mit den Superblinddärmen ausgestatteten Raufußhühner, erspäht eine blankgeputze Gamsrippe und registriert freilich auch die im Stakkato auftauchenden Murmeltiere.

Nur Gletscherfloh läuft ihm keiner über den Weg. Der treibt in den Tiefen der Schnee- und Eismassen sein Unwesen. Im felsigen Land der rauen Zeitgenossen, die den Schutz dieses Nationalparks brauchen, ist er nur schwer aufzuspüren. Michael Hausenblas

Hubert Zeiler

ist 37 Jahre alt und stammt aus Dellach im Drautal. Er studierte an der Universität für Bodenkultur Wien, wo er als Assistent am Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft Lehrveranstaltungen abhält und forscht. Zeiler liebt die Malerei und hält so manches Objekt seiner wissenschaftlichen Begierde in Öl fest.
Nähere Infos über den Nationalpark
Hohe Tauern unter: www.npht.sbg.ac.at

Lust auf Urlaub am Bio-Bauernhof im Nationalpark Hohe Tauern? Infos und Buchung: Gabriele Stöger, Klausnerhaus, 5731 Hollersbach, Tel. 06562 / 8105-3, Fax: DW 5, e-mail: janatuerlich-urlaub@aon.at.