Clemens Rosenkranz Plötzlich reissen die grauen Tropenwolken auf. So weit das Auge reicht, das unendliche Grün des Urwalds, durchzogen von mäandernden braunen Flüssen. Aber man erkennt auch das Ökodesaster, das den Mythos Borneo bedroht: Die boomende Holzindustrie. Sarawaks Kapitale Kuching ist zwar nur eineinhalb Flugstunden von Kuala Lumpur entfernt, dennoch liegt mehr als die Südchinesische See zwischen Westmalaysia und dem christlich-animistischen Vielvölkermix im Osten. Daß die Teilstaaten Sarawak und Sabah einen hohen Grad an Eigenständigkeit haben, merkt man schon am Airport: Alle - auch Malaysier - müssen durch die Einreisekontrolle. Kuching mit 75.000 Einwohnern fehlt vieles von der Hektik und dem Chaos anderer Städte in Fernost. Wem das Treiben der chinesischen Händler unter den Arkaden der verfallenden Bauten im britischen Kolonialstil im Zentrum zu viel wird, kann an die frisch geliftete Uferpromenade flüchten. Da es keine Brücke über den braunen, träge fließenden Sarawak-Fluß gibt, stellen nußschalengroße hölzerne Barkassen die einzige Verbindung dar. Kuching ist ein ideales Sprungbrett ins grüne Herz Borneos. In Sabah und Sarawak gibt es nämlich eine Handvoll gut ausgebauter Nationalparks, die als Dschungel-Light auch ohne Führer begehbar sind. Einer der grünen Perlen ist der Bako-Nationalpark, eine Halbinsel in der Südchinesischen See. Die Anreise dauert mit Bus und Boot nur eineinhalb Stunden, im Park locken 30 Kilometer Pfade zu Dschungel-Wanderungen. Trotz kurzer Entfernungen zählt jeder Schritt in der Sauna-Luft doppelt, dazu kommen glitschige Urwaldaufstiege. Dafür locken einsame, nur über schweißtreibende Abstiege erreichbare Sandstrände. Besonders reizvoll sind die verschiedenen Vegetationstypen, vom Mangrovensumpf über tropischen Regenwald zum Buschwald des Hochplateaus. Tiefer in die Finsternis Nach nur drei Stunden mit dem Tragflügelboot erreicht man den Holz, Kautschuk- und Pfeffer-Umschlagplatz Sibu am starkbefahrenen Rejang-Fluß. Hinunter schippern Holztransporte, herauf schweres Baugerät. In Sibu endet die Straße. Fährt man weiter, legt das Boot in Kapit an, dem letzten Außenposten der Zivilisation. Hier vermischen sich chinesische Händler mit blau-tätowierten Iban, die auf Kanus vom Oberlauf kommen, um Jagdbeute oder Holzschnitzereien zu verkaufen. In Kapit kann man auch individuelle Langhaus-Touren organisieren. Stundenlang geht es in immer enger werdenden Nebenarmen durch die grüne Hölle, ein Langhaus folgt auch dem anderen, dazwischen wird das Dröhnen des Motors nur durch kreischende Affen und die Polyphonie von Vogelgezwitscher unterbrochen. Allerdings stören Holzfällercamps und Rauchsäulen das Idyll: Für die Einheimischen sind die tiefen, rotbraunen Narben im Urwald Symbol des Fortschritts. Dann nach gut zwei Stunden legt das Boot an. Das Langhaus steht auf einer filigranen Holzkonstruktion 15 Meter über dem Flußniveau. Großes Hallo, unser Führer verteilt zuvor gekaufte Geschenke, Zuckerln und Orangensaft im Tetrapack. Immer mehr Bewohner tauchen in der überdachten Veranda auf, die Kinder halten neugierige Distanz. Da unser Iban-Guide kaum Englisch kann, kommt eine Unterhaltung nicht so recht auf. Obwohl man selbst neugieriger Besucher ist, fühlt man sich bald wie ein Tier im Zoo. Landet man nach drei Tagen ohne orang putih (weiße Menschen) in Miri, glaubt man vom Ende der Welt zu kommen. Die Stadt ist geprägt von Ölarbeitern und amerikanisch großzügigen Straßen und nur als Ausgangspunkt zur Niah-Höhle, eine der größten der Welt, einen Besuch wert. Diese liegt rund 100 Kilometer südlich in einem aus der Küstenebene ragenden zerklüfteten Kalksteinmassiv. Vom Park-Hauptquartier führen vier Kilometer Plankenweg zum 250 Meter breiten und 75 Meter hohen Höhleneingang. Steigt man über die steilen Holztreppen ins Innere der Tropfsteinhöhle, wird man von Gestank von Fledermaus-Guano eingehüllt. Daran gewöhnt man sich bald, an die Hitze kaum. Nur eine kathedralenartige Höhle mit Löchern in der Decke spendet ein Lüfterl. Die Durchquerung dauert eine halbe Stunde, davon 300 Meter in absoluter Finsternis. Am Ende kommt man zu einer kleinen Höhle mit prähistorischen Felsmalereien. Auch das bergige Sabah ist ein Platz für Aktivurlauber. Nahe der Hauptstadt Kota Kinabalu, ein gesichtsloses Opfer des 2. Weltkriegs, ragt der 4100 Meter hohe Gunung Kinabalu empor. Fast immer ist das Symbol des "Landes unter dem Wind" von Wolken eingehüllt. Sandakan im äußersten Osten, eine unattraktive Hafenstadt, ist der Ausgangspunkt für ein weiteres Highlight: Die 40 Kilometer nördlich gelegene Schildkröteninsel. In diesem Naturschutzgebiet kommen Nacht für Nacht Suppenschildkröten zum Eierlegen. Um diese zu schützen, werden sie in eigenen Gehegen eingegraben. Wer am Morgen anlegt, sieht hunderte der tellergroßen Baby-Schildkröten wie ferngesteuerte Batterie-Autos ins Meer krabbeln. Außerhalb des Nationalparks hält sich niemand an Artenschutz, am Fischmarkt von Sandakan kann man zusehen, wie die begehrte Delikatesse mit der Machete zerhackt wird. Die Show der roten Riesen Zweite Attraktion ist die Orang-Utan-Aufzuchtstation Sepilok nahe Sandakan, wo gefangene und später konfiszierte Tiere das Leben in Freiheit lernen. Um sie von Menschen zu entwöhnen, ist die Anlage bis auf zwei Fütterungen pro Tag nicht zugänglich. Wenn die Fütterung (Milch und Bananen) naht, schwingen sich Orang-Utans aus dem Wald. Ein ganz neugieriger sitzt auf der Brüstung und begafft die eifrig abdrückenden Kamera-Menschen. Philosophisch schmiegt er das Kinn in die Hand und läßt die Foto-Orgie über sich ergehen. Plötzlich hat er genug, er dreht dem Publikum zuerst den Rücken zu, dann trollt er sich. Ein anderer hat mehr Sinn für Show. Zuerst schwingt er auf einem Ast auf und ab, dann springt er auf den Plankenweg, hält sich an menschlichen Händen fest und läßt sich wie ein Kleinkind ziehen. Auch er verliert plötzlich den Spaß und zieht sich ins Geäst zurück. Für manche Besucher haben Begegnungen mit den roten Riesen weniger gut geendet: Geschichten von verbogenen Brillen und zerlegten Kameras machen die Runde. DER STANDARD Samstag / Sonntag, 5. / 6. Dezember 1998