Treffen sich zwei Wiener auf dem Zentralfriedhof. Es kommt zu einem kurzen Gespräch unter Trauernden: "Wen haben Sie begraben?" - "Meine Frau." - "Und Sie?" - "Meine Schwiegermutter." - "Auch nicht schlecht."

Gehen zwei Wiener über die Kärntnerstraße vom Opernplatz in Richtung Graben. Auf halber Strecke kommt ihnen ein Afrikaner entgegen. "A Neger", sagen die zwei Wiener und bleiben stehen. "Zwa Weaner", sagt der Afrikaner und geht vorbei.

Es gibt viele Gründe, die Österreicher, vor allem die Wiener, zu mögen. Der wichtigste Grund ist: Sie nehmen nichts ernst, nicht das Leben und nicht den Tod, weder sich selbst noch die anderen; die Österreicher sind kein Volk und keine Nation, keine Schicksals- und keine Notgemeinschaft, sie sind eine Komikertruppe, die eine Truppe von Komikern spielt, und ganz Österreich ist eine große Bühne, auf der 24 Stunden täglich rund um die Uhr das ganze Jahr über immer dasselbe Stück gegeben wird. Nur die Titel der Aufführungen wechseln. Mal ist es "Der Anschluss", mal "Waldheim und wir", zuletzt "Haider und die Folgen".

Es ist kein Zufall, dass alle großen Operettenkomponisten Österreicher waren: Oscar Strauß und Johann Strauß, Paul Abraham, Franz Lehár und Ralph Benatzky, Emmerich Kálmán und Bruno Kreisky. Was Operetten angeht, haben die Österreicher ein Weltmonopol.

Eine Operette ist mehr als eine lustige Oper: Es ist eine philosophische Miniatur, die alles über die Mentalität ihrer Urheber verrät. In dem Satz "Ein Ober ist auch ein Mensch" aus dem "Weißen Rössl" stecken mehr Weisheit und Würde als in der Präambel zur österreichischen Verfassung.

Es soll ja Leute geben, die nach Wien fahren, um sich eine Oper anzuschauen oder sich beim Heurigen voll laufen zu lassen, ich fahre nach Wien, um die Armut der Berliner Küche für ein paar Tage hinter mir zu lassen. Dabei rolle ich nicht nur von einem Beisl zum anderen, ich lerne auch die verschiedenen Milieus kennen. Wien ist da sehr leicht überschaubar. Im "Salzgries" sitzen die Leute vom profil, im "Griensteidl" und im "Central" die Kollegen vom STANDARD. Doron Rabinovici hält Hof im "Bräunerhof", wo auch Hrdlicka und Brandauer verkehren, ohne freilich miteinander zu sprechen. Robert Schindel sitzt jeden Tag im "Prückel", ist er nicht da, weil er nächtens irgendwo abgestürzt ist, spielt der Hauspianist die Champagner-Polka aus der "Fledermaus".

Bei meinem letzten Besuch in Wien, im Februar, lernte ich den antifaschistischen Widerstand kennen. Er rekrutierte sich vor allem aus dem Republikanischen Club Neues Österreich, der Bürgerinitiative SOS Mitmensch und einigen Künstlern, die sich an einem Sonntagvormittag im Burgtheater zu einer Matinee versammelten, um über die Frage "Bleiben oder gehen?" zu diskutierten. In echt. Der Intendant des Burgtheaters, der Leiter der Wiener Festwochen und eine Hand voll weiterer Subventionsverbraucher unterhielten sich darüber, ob sie aus Protest gegen Haider das Land verlassen oder bleiben und künstlerischen Widerstand üben sollten. Sie entschieden sich fürs "Bleiben", und nur für den Fall, dass ihnen die Subventionen gekürzt würden, wollten sie die Option "Gehen" nicht von vorneherein ausschließen.

Zurück in Berlin und tief beeindruckt von der pragmatischen Haltung der Wiener Antifa, wurde mir klar, warum es nur so wenige Kopfarbeiter waren, die sich Haider in den Weg stellten: Die meisten waren schon in Berlin, im Exil, und organisierten den Widerstand aus dem Altreich in die Ostmark hinein. Die Berliner Wiener trafen sich jeden Sonntag in einem Kreuzberger Café, um "Aktionen" gegen die schwarz-blaue Koalition zu beraten. Bei einem solchen Treffen setzte ich mir eine Baseballmütze auf und mich einfach mit an den Tisch, worauf es zu einer längeren Debatte darüber kam, ob ich an dem Treffen teilnehmen dürfte. Das fand ich ausgesprochen freundlich, denn während die anderen diskutierten, konnte ich in Ruhe meine zwei Eier im Glas auslöffeln und mich anschließend an der Diskussion beteiligen. In einer deutschen Antifa-Gruppe wäre ich gleich vor der Tür gesetzt worden, ohne Rücksicht darauf, ob ich schon gefrühstückt hatte oder noch nicht.

Es kam dann doch zu einer Protestaktion, einer zweitägigen Veranstaltung in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz unter dem Titel "Austrian Psycho Nights"; um die rund 50 österreichischen Künstler, die ihre Teilnahme kostenlos zugesagt hatten, nach Berlin transportieren zu können, stellten die Veranstalter über die österreichische Botschaft in Bonn einen Antrag auf Bezuschussung beim Kultusministerium in Wien. Kein Witz. Die Organisatoren einer Protestkundgebung gegen die Regierung baten die Regierung, die Kundgebung zu unterstützen. Und sie konnten es nicht verstehen, was ich, der Piefke, daran komisch fand.

Die beantragte Subvention wäre dann auch beinah bewilligt worden, wenn auch "big shots" wie André Heller und Elfriede Jelinek an der Psycho-Parade teilgenommen hätten, die aber grade anderweitig verhindert waren. Dem Kultusministerium in Wien waren die Teilnehmer der Protestveranstaltung nicht prominent genug.

Das ist es, was wir Deutschen den Ostmärkern übel nehmen, eine gewisse Leichtigkeit des Seins, die uns vollkommen abgeht. Der Austro-Faschismus war recht gemütlich, der Austro-Antifaschismus ist es auch. Und während in Deutschland Probleme immer gelöst werden müssen, was nur neue Probleme schafft, arrangieren sich die Österreicher mit ihren Problemen, ohne sie zu lösen, und fahren besser damit.

Es ist deswegen auch vollkommen egal, wer in Österreich die Regierung stellt. Regiert wird das Land sowieso durch Absprachen, die außerhalb des Parlaments getroffen werden, üblicherweise in den Plüschecken im "Landtmann".

Im Übrigen: Die allergrößte Häufung von Nazis um eine Regierung herum gab es unter dem jüdischen Sozialdemokraten Bruno Kreisky. Dagegen sind Schüssel und Haider geradezu Garanten für ein antifaschistisches Aktionsprogramm.

Was mich angeht, habe ich mich an den "Maßnahmen" gegen Österreich nicht beteiligt. Ich finde es albern und unanständig, wenn Politiker, die vor Putin auf den Knien rutschen und Chatami zuliebe den Polizeistaat ausrufen, sich um die Menschenrechte in Österreich sorgen. Das ist symbolischer Aktionismus, dem jeder Sinn für Realitäten abhanden gekommen ist. Gerne erinnere ich mich allerdings an jene drei "Weisinnen", die den drei Herren der EU auf ihrer "fact finding mission" mit Rat und Tat beistehen sollten - eine Schriftstellerin, eine Publizistin und eine Rentnerin, die der "Weisinnenrat" ernannt hat, damit sie "das andere Österreich" vertreten.

Das nämlich ist genau die Art von Schmäh, mit der die Ostmärker dem Rest der Welt signalisieren: "Die Lage ist verzweifelt, aber nicht ernst. Kommt und lacht mit uns." - Bin schon unterwegs.

Henryk M. Broder lebt als Journalist in Berlin.
*Gekürzte Fassung eines zuerst im Berliner "Tagesspiegel" erschienenen Beitrags