Der Standard-Kulturchef attestierte den Wiener Festwochen '99 akuten Identitätsschwund dank Beliebigkeit in der Programmauswahl und trister Präsentation. (22. 6.)

Meine besten Freunde haben mich immer vor Wien und seiner Presse gewarnt. Es stimmt, daß zwei große Musiktheaterproduktionen, am Anfang die "Fledermaus" und am Ende "Don Giovanni", unser Programm umrahmt haben. Beide Produktionen wurden, wie Sie richtig bemerken, vor unserem Vertragsbeginn verhandelt und im Fall der "Fledermaus" abgeschlossen. Die Eröffnung mit der Strauß-Oper war sogar seitens einiger Politiker ein den Festwochen persönlich mitgeteilter Wunsch.

Hätten wir uns anmaßen sollen, ein Jahr vor Probenbeginn ein Vorurteil gegen diese Produktion zu fällen, also die Künstler, den Regisseur und Dirigenten auszuzahlen und somit einen der renommiertesten Meister der Musik aus Wien zu verjagen? Wie hätte Ihr Vorwurf erst ausgesehen, wenn wir Auszahlungen in Millionenhöhe getätigt hätten, ohne den Gegenwert einer Produktion zu haben?

Auch der "da Ponte-Zyklus" im Theater an der Wien datiert noch aus der Vorgänger-Ära, und ich denke, es ist ein Unterschied, eine Sängerin auszubezahlen, um seinen künstlerischen Absichten gerecht zu werden, oder ganze nicht stattfindende Programme zu finanzieren. Auch hier sind wir dem Steuerzahler verpflichtet. Ich glaube, ein einziger Kopf hätte die selben Schmerzen und Sorgen erleiden müssen wie drei Köpfe und es noch schwerer gehabt, solche Entscheidungen zu fällen. Zu dritt wäre es leichter gewesen, sich aus der Affäre zu ziehen, indem wir keine Rücksicht genommen hätten auf Vereinbarungen.

Zum Programm, das zwischen den beiden Musiktheaterstücken sich trotzdem noch recht gut, und von der internationalen Presse begeistert aufgenommen, entfalten konnte: Es weist eine noch bessere Auslastung auf als im vergangenen Jahr. Außer mein ebenfalls von ihrer Zeitung groß aufgemachter "Flop" (es war eine kleine Werkstatt-Arbeit mit Schülerinnen vom Max Reinhardt-Seminar im kleinen Rabenhof ... nichts Teures, wenn auch schön, wie ich finde ...) waren alle Produktionen ausgezeichnet besucht.

Außerdem: Wo können Sie innerhalb von sechs Wochen in derselben Stadt Arbeiten von Forsythe, Zadek, Botho Strauß, Meg Stuart, Thomas Ostermeier, Olga Neuwirth, Frank Castorf, Elfriede Jelinek und von meiner Wenigkeit - um nur einige zu nennen - sehen, worum uns die internationale Presse nachweislich be-neidet? Die Festwochen sind müde - zu Recht, wir haben viel gearbeitet, um dem Publikum Spaß zu machen. Und Sie sind es vielleicht auch, weil Sie offensichtlich nur den Anfang und den Schluß mitbekommen haben.
Luc Bondy, Theaterdirektor der Wiener Festwochen (auch im Namen von Hortensia Völckers und Klaus-Peter Kehr)