Wien - "Für Versicherungen ist Österreich ein Standortnachteil", meint der Chef der Wiener Städtischen Versicherung, Siegfried Sellitsch. Ausschlaggebend dafür sei nicht nur die jüngst von der Regierung beschlossene höhere Besteuerung der Rückstellungen; die Versicherungen seien bereits in den vergangenen Jahren von den Finanzbehörden in Österreich "schlecht behandelt worden", sagte Sellitsch im STANDARD-Gespräch.

Als Folge dieser Entwicklung sieht er die Tatsache, dass es weltweit kein anders Land gebe, wo mehr als die Hälfte der Prämien in Gesellschaften mit ausländischen Müttern konzentriert seien.

Als Beispiel für den Standortnachteil nannte der Städtische-Chef die vor drei Jahren beschlossene Vorwegbesteuerung von Lebensversicherungen, die es nirgendwo sonst auf der Welt gebe. Hier werde ein Sparprozess für die Eigenvorsorge benachteiligt. Die staatlich geförderten Pensionsinvestmentfonds, die sich am Markt nie durchgesetzt haben, lässt Sellitsch nicht gelten, denn diese seien von Haus aus eine Totgeburt gewesen und ein reines "Ablenkungsmanöver" der früheren Regierung.

Schäden

Und nun fordert Finanzminister Karl-Heinz Grasser die Auflösung von 20 Prozent der Reserven, die Versicherungen für drohende Schäden in der Schaden/Unfallsparte per Gesetz in der Bilanz bilden müssen. Der daraus resultierende Gewinn soll über fünf Jahre verteilt versteuert werden. Zusätzlich sollen die Schwankungsrückstellungen (die kurz vor dem EU-Beitritt eingeführt wurden, um Schwankungen im Schadensfall besser verkraften zu können) zur Hälfte oder zur Gänze aufgelöst und binnen drei oder fünf Jahren (das steht noch nicht fest) versteuert werden.

Die Reservenbesteuerung sei "aus der Gier nach Steuererhöhungen in kurzer Zeit" entstanden. Für den Finanzminister könnte sich diese Maßnahme aber als Schuss nach hinten herausstellen. Denn Sellitsch prophezeit, dass die Versicherungen ihre Reserven - steuerschonend - komplett im Ausland veranlagen werden. Die internationalen Versicherungskonzerne tun sich dabei leichter, denn die können ihr Geld dort veranlagen, wo die Steuern am niedrigsten sind. Und so sei es theoretisch möglich, dass sie nur mehr den Vertrieb in Österreich belassen.

Polizzen

Steuer sparen kann man aber auch in OECD-Europa: Wenn die Österreicher ihre Polizzen nicht bei einer in Österreich ansässigen Gesellschaft, sondern etwa bei deren ausländischer Tochter abschließen würden, dann hätte das zur Folge, dass die Österreicher überhaupt keine Versicherungsssteuer mehr am Wohnort bezahlen. Denn sie müssten diese über eine Selbstdeklaration beim Finanzamt abführen. Und das habe sich "noch nie bewährt".

Wenn nun die großen internationalen Versicherungen in Österreich ihre Rücklagen im Ausland veranlagen, werde auch die Städtische gezwungen sein mit zu tun, kündigte Sellitsch an und verweist auf das Wachstumspotenzial seiner Gesellschaft in Osteuropa. Der Wiener Städtischen kostet die neue Besteuerung in den nächsten drei Jahren jährlich 268 Mio. S und in den Folgejahren jährlich 190 Mio. S. Die gesamte Branche rechnet ab 2001 mit Zusatzbelastungen von rund einer Mrd. S.

Die höhere Besteuerung der Versicherungen in der Sachsparte stehe zudem im krassen Widerspruch zu den höheren Kosten in der Kfz-Sparte. So seien zwar die Neuwagenpreise gesunken, aber die Ersatzteil- und Arbeitskosten massiv gestiegen, was sich bei einer gleichzeitig höheren Schadensquote negativ zu Buche schlage. Eine Autotüre kostete noch vor zehn Jahren 4000 S, heuer waren es bereits 40.000 S. In der Türe sei zwar auch mehr drinnen, aber sie müsse im Schadensfall komplett ausgetauscht werden, weil eine Reparatur nicht mehr möglich sei. Und weil die gesamte Branche heuer rund acht Mrd. S in der Kfz-Versicherung verlieren werde, seien Prämienerhöhungen unumgänglich, so Sellitsch.(Claudia Ruff, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 10. 2000)