Ist es eine breit angelegte "Vernaderung"? Oder "nur" ein Fehlverhalten einiger Beamter? Oder - wie andere meinen - eine Staatskrise? Die Vorwürfe sind bekannt: Eine Regierungspartei soll sich, als sie ihr Dasein noch in der Opposition fristete, geheime Daten über politische Gegner aus dem Polizeicomputer beschafft und in der politischen Auseinandersetzung verwendet haben. Die behaupteten Sachverhalte sind derzeit nicht bewiesen; Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaft ermitteln. Hoffentlich lösen sich diese Vorwürfe tatsächlich "in Luft auf"! Hoffentlich erweist sich der Verdacht, den die Strafverfolgungsbehörden haben müssen - sonst wären sie nicht tätig geworden -, als unbegründet! Hoffentlich bestätigt sich die Einschätzung des Justizministers und seiner Freunde in der ihm nahe stehenden Partei! Möglicherweise haben die Staatsanwälte es auch gehört, dass ihr oberster und weisungsbefugter Vorgesetzter offenbar der Meinung ist, sie - die Staatsanwälte - verfolgten ein Phantom. Sie mögen aber vorerst mit ihren Ermittlungen weiter fortfahren und diese erst einstellen, wenn dies der Justizminister mit Weisung anordnet. Das muss er nämlich tun, wenn er meint, die Staatsanwaltschaft verfolge grundlos, denn das wäre gesetzwidrig. Die Staatsanwälte müssen objektiv vorgehen (§ 3 StPO) und dürfen nur verfolgen, wenn es einen Verdacht gibt. Dafür hat der Justizminister Sorge zu tragen; er ist dafür rechtlich und politisch verantwortlich. Wenn der Justizminister eine solche Weisung aber nicht erteilt? Dann hat er die ihm unterstehenden Staatsanwälte jedenfalls desavouiert und ihnen öffentlich ausgerichtet, dass er möglicherweise andere Informationen hat als sie. Gewiss, auch für den Justizminister gilt die Meinungsfreiheit; rechtlich ist er nicht gehindert, seine Meinungen frei zu äußern. Es besteht aber auch keine Pflicht, das unter allen Umständen zu tun. Wer an einer sensiblen Stelle im politischen System agiert, sollte auch erkennen, wann es Zeit ist zu schweigen; sonst läuft er nämlich Gefahr, untragbar zu werden. Schaler Beigeschmack Wie immer die anhängigen Ermittlungen auch ausgehen mögen, der Justizminister hat es geschafft, dass das Ergebnis einen schalen Beigeschmack haben wird. Erweisen sich die Verdachtsmomente als unbegründet, kann in der Öffentlichkeit leicht der Eindruck entstehen, die öffentlich erklärten Unschuldsbehauptungen hätten ihre Wirkung auf die Staatsanwälte nicht verfehlt, vorauseilender Gehorsam sei wieder einmal wirksam geworden. Oder der Verdacht verdichtet sich, und es kommt zur Anklage: Dann lässt sich natürlich behaupten, in der Staatsanwaltschaft seien halt bestimmte Cliquen am Werk, die man bei Gelegenheit einmal "ordentlich ausmisten" müsse. So oder so: Der Justizminister hat durch seine Äußerungen zwar kein Gesetz verletzt, er hat rechtlich korrekt gehandelt. Als objektiven, unabhängigen obersten Repräsentanten des Justizapparates kann man ihn aber nicht mehr betrachten; ein solcher müsste nämlich erkennen, dass der Staat mehr ist als seine eigene kleine Welt. Er hätte in einer derart brisanten Angelegenheit alles dazu beitragen müssen, dass nicht einmal der Anschein einer parteilichen Justiz entsteht; er hat just das Gegenteil getan. Beachtliches Defizit Hoffen wir trotzdem, dass alles gut geht und dass er Recht hat mit seiner Einschätzung. Sonst steht nämlich viel - möglicherweise alles - auf dem Spiel: Eine politische Partei, die sich tatsächlich systematisch geheime Daten über politische Gegner beschafft und in der politischen Auseinandersetzung verwendet, hat in ihrem Verständnis vom Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern ein beachtliches Defizit. Wer nicht respektiert, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, dass seine persönliche Sphäre der Öffentlichkeit entzogen bleibt, und dass in diesen Bereich des Privaten nur eingedrungen werden darf, wenn es im Interesse der Allgemeinheit unbedingt notwendig ist, der hat nicht begriffen, welchen Sinn der demokratische Rechtsstaat hat. Wer die Interessen einer Partei als Interesse der Allgemeinheit missversteht und versucht, den Staatsapparat für Parteizwecke zu missbrauchen, und auch nicht davor zurückschreckt, politische Gegner in ihrem persönlichen Bereich zu attackieren, hat sich für staatliche Funktionen disqualifiziert. Von einer Regierungspartei ist in diesen Fragen eine klare Stellungnahme und ein glaubwürdiges Verhalten gefordert. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 31. 10. 2000) DDr. Heinz Mayer ist Professor am Institut für Staats-und Verwaltungsrecht der Universität Wien.