Madrid - "Gibt es außer den maritimen keine anderen Fragen?", versuchte Ministerpräsident José María Aznar die gemeinsame
Pressekonferenz mit Amtskollegen Tony Blair aufzulockern. Vergeblich, denn die versammelten Journalisten beider Länder
wollten am Ende eines kurzen Arbeitsbesuchs des britischen Premiers in Spanien am Wochenende weder von verstärkter
Zusammenarbeit, EU-Avantgarde, noch von einer "Achse" Madrid-London etwas wissen. Alle interessierte nur eines: das
britische U-Boot "Tireless", das seit dem Morgengrauen des 19. Mai in Gibraltar vor Anker liegt und dort eine Reparatur des
Kühlsystems seines Atomreaktors erwartet.
Die Madrider Regierung war zwar vom Betriebsunfall informiert und mit Erklärungen über die Sicherheit der Instandsetzung
ruhig gestellt worden. Doch Umweltschützer mobilisieren seither die Bürger der Nachbargemeinden im Campo de Gibraltar.
An Spannungen mit den Nachbarn der britischen Enklave sind die rund 300.000 Umwohner von Gibraltar gewohnt. Seit den
Zeiten des Diktators Franco verlangt Spanien die Rückgabe des Felsens.
"Gibraltar ist spanisch"
Auch die heutige Regierung hat keineswegs auf territoriale Ansprüche verzichtet - "Gibraltar ist spanisch", heißt die Losung.
Doch im Sinne der guten Beziehungen zum EU-Partner verzichtet man auf verbales Muskelspiel. Seit das
Verteidigungsministerium in London allerdings zugab, der Riss im Kühlsystem der "Tireless" sei kein Einzelfall, sondern ein
Fabrikationsfehler, der mittlerweile den Rückruf aller elf baugleichen "Swiftsure"-Boote nötig gemacht hat, sehen die
Andalusier rot. Die spanische Tageszeitung La Razón sprach gar von einer "Atombombe mit 220 Kilo angereichertem Uran,
die auf spanischem Boden unter britischer Kolonialherrschaft" lagere. Dass der Fall "Tireless" zum "spanischen Temelín" -
einschließlich Blockaden der Grenzübergänge durch besorgte Umwohner - werden könnte, bestätigte mittlerweile ein
Sprecher der andalusischen Regionalregierung. Die sozialistische Opposition wirft dem konservativen Premier zudem vor, er
habe vor den Beschwichtigungen der Briten kapituliert. "Auf kritische Fragen antwortet Aznar nur mit Scherzen", kritisierte der
Oppositionssprecher.
Ob im Hafen von Gibraltar die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen für eine als "heikel" eingestufte Reparatur des
Atomreaktors gegeben sind, wird von Sachverständigen bezweifelt. Diese Woche wollen sich britische und spanische
Sicherheitsexperten treffen. Dann wird beraten, ob die Spanier erstmals Zugang zum U-Boot erhalten, um sich selbst von der
angeblichen Ungefährlichkeit der Schäden überzeugen zu können. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 31. 10. 2000)