Wien - Der Umstand, dass die Störung der Totenruhe einen strafbaren Tatbestand darstellt, hat so manchen Komponisten von der Abfassung eines (dem frisch Verblichenen alles eher denn Ruhe spendenden) Requiems nicht abzuhalten vermocht. Wobei anzumerken ist, dass die diesbezüglichen Hervorbringungen eines Cherubini, Mozart oder Verdi im Vergleich zur Grande messe des morts von Hector Berlioz beinahe als scheues Geflüster bezeichnet werden dürfen. Zur Entlastung des französischen Tonsetzers darf angeführt werden, dass sein Requiem zum Gedenken an einen von Berufs wegen sicher an Lärm gewöhnten General uraufgeführt wurde. Da zurzeit alle französischen Generäle und auch die sonstige Prominenz der Grande Nation erfreulicherweise wohlauf sind, ist die Nachfrage nach einem Requiem innerhalb Frankreichs naturgemäß gering. So konnte das Orchestre National du Capitole de Toulouse unter Michel Plasson mit diesem Werk gemeinsam mit dem Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde - datumsgerecht zu Allerheiligen und Allerseelen - die Wiener erfreuen. Diese "kolossale Nachtigall", wie Heinrich Heine dieses Werk nach der Uraufführung bezeichnete, hat allerdings doch nicht ganz so überwältigend losgeträllert, wie man es erwartet hatte. Einerseits, weil sich sogar der Goldene Saal als zu enger Käfig erwiesen hat: Chor und Riesenorchester waren auf dem Podium zu eng zusammengepfercht, und die auf der Orgelempore und an den Saaleingängen postierten Bläserformationen erzielten nicht jene quadrophone Wirkung, wie sie in einer Kirche möglich ist. Andrerseits klangen Orchester und Chor auch für sich genommen etwas stumpf. Anders als der Dirigent der Uraufführung, der sich zum Entsetzen des Komponisten zwischen Dies Irae und Tuba mirum eine Prise Schnupftabak genehmigte, gibt Michel Plasson an wichtigen Stellen sogar seltsame Pfauchgeräusche von sich, die von den Mitwirkenden jedoch unberücksichtigt bleiben. Sie beschränkten sich in achtbarer Akkuratesse auf seriöses Durcharbeiten des romantischen Notendschungels, in dem sich während des Sanctus Paul Groves mit einem eindringlichen Tenorsolo hören ließ. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 11. 2000)