Die Geschichte meiner Flucht aus Ungarn ist ziemlich umwerfend", kündigt Judith Majlath an - und das ist Understatement, denn ziemlich umwerfend ist die Geschichte ihres ganzen Lebens. 1956, beim Einmarsch der Sowjets nach Ungarn, war sie knapp fünfzehn - und ständig auf der Straße: Sie demonstrierte, verteilte Flugzettel, baute Barrikaden. Als sie Zeugin wurde, wie ihre beste Freundin im russischen Panzerfeuer starb, entschied sie sich über Nacht zur Flucht; ihre Eltern, denen der Entschluss schwer fiel, kamen zwei Monate später nach. Sie verließ Budapest auf einem Pritschenwagen, versteckt unter Stroh, in dem vorher geschlachtete Schweine transportiert worden waren. Wenn sie an den Gestank denkt, schüttelt sie sich noch immer. Beim nächtlichen Weg über die Grenze hatte Judith Majlath "entsetzliche Angst, vor allem vor Tretminen". Aber alles ging glatt. Das erste, was sie von Wien sah, war eine Palmers-Werbung für Damenunterwäsche: "Da dachte ich mir: Das ist Freiheit." Als Zweites faszinierten sie die Orangen und Bananen an den Obstständen. Sie gab die gesamten 100 Schilling, die sie besaß, dafür aus. "Edelhippieszene" der Swinging Sixties "Von meinem ungarischen Background wollte ich mich total trennen, das war für mich ein Stigma." Als jüngste Studentin in der Geschichte des Hauses an die Akademie der bildenden Künste aufgenommen, fand sie Freunde unter den Nachwuchskünstlern wie Hundertwasser, Hutter, Holzbauer oder Noever. Mit Wilhelm Holzbauer war sie viereinhalb Jahre verlobt. Nach Scheitern der Beziehung trat sie in den Sechzigern ihre "zweite Flucht" an: mit 25 Pfund in der Tasche nach London. Sie reüssierte in der Antiquitätenbranche, fasste Fuß in der "Edelhippieszene" der Swinging Sixties: Zu ihren Kunden und Bekannten zählten die Beatles, die Rolling Stones oder Eric Clapton. Anfang der Siebziger war sie in Marrakesch, um für FreundInnen Renovierung und Verkauf eines Hauses zu überwachen. Die FreundInnen waren Paul Getty jun. und seine Frau, das Haus ein "Märchenpalast". 1976 machte sie ein Antiquitätengeschäft in Wien auf, blieb aber noch fast zehn Jahre in London wohnen und flog ständig hin und her: "Ist man einmal Flüchtling, bleibt man immer Flüchtling." Später wurde sie Buddhistin, dadurch kam sie Mitte der Neunziger nach Laos - und sah dort "das Elend der Antipersonenminenopfer", das sie nicht mehr losließ: Mit unermüdlichem Einsatz kämpft sie seitdem gegen Landminen. "Andere Leute gehen in meinem Alter in Pension, ich habe noch nie so viel gearbeitet wie jetzt." (Robert Schlesinger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 03.11.2000)