Den Lobgesängen nach zu schließen, die zurzeit auf Ernst Strasser angestimmt werden, muss der Innenminister ein glücklicher Mensch sein. Von allen Seiten, ausgenommen von der äußerst rechten, prasseln die Komplimente auf Strasser regelrecht hernieder. Er habe sich dem Druck des Apparates entzogen, widerstehe allen wie auch immer gefärbten Vereinnahmungsversuchen seiner Beamten, taktiere gut und überhaupt: Er lasse sich von der Politik nichts dreinreden. Letzteres scheint der Ritterschlag österreichischer Glaubwürdigkeit schlechthin zu sein: ein Politiker, der sich von der Politik nichts anschaffen lässt. Strasser hat das bemerkenswerte Kunststück zuwege gebracht, alle Welt glauben zu machen, dass im sensibelsten Ressort der Republik ein parteiferner Nichtpolitiker am Werk ist. Oder, wie Strasser gern zu sagen pflegt, einer, dem es nicht "um Tagespolitik geht", und wenn schon um Farben, dann nur die "rot-weiß-rote". Anders als seine Vorgänger, die allesamt ihr Herz auf der Zunge getragen haben, wenn es, auch ungefragt, um ein Bekenntnis zu "ihrem" Ministerium gegangen ist, erweckt Strasser einen durchaus konträren Eindruck: Selbstverständlich sei der Posten des Innenministers ein reizvoller, es gebe aber auch andere schöne Aufgaben. Und ein Leben neben dem in der Herrengasse. So etwas wird hierzulande natürlich gleich als Eigeninserat für höhere Aufgaben aufgefasst. Dabei tut Strasser eigentlich nichts, als seinen Beruf ernst zu nehmen, und zwar taktisch klug, effizient und sicher nicht zum Nachteil für die ÖVP. Wie Strasser agiert, konterkariert das veröffentlichte Bild seiner Person nachdrücklich und weist ihn als abgebrühten Fuchs aus. Er hat sich der Rückendeckung des Kanzlers versichert, er ist den Fallen im eigenen Haus ausgewichen, hat sofort klar gemacht, wer das Sagen hat, und keinen Augenblick gezögert, das zu beweisen, indem er die fähigsten Beamten mit der Aufarbeitung des Spitzelskandals beauftragt hat. Diese erhielten nur, was sie am nötigsten brauchen - freie Hand. Allein das ist in Österreich so ungewöhnlich, dass die Verwunderung darüber kein Ende nimmt. Erstmals seit dem Antritt der Koalition scheint ihr Slogan "Anders regieren" ein Körnchen verifizierbare Realität abzusondern. Das muss der Regierung aber nicht gleich als herausragende Leistung verbucht werden, denn sie lässt den Innenminister im Augenblick nur so arbeiten, wie es in allen halbwegs funktionierenden Demokratien guter Brauch ist. Einer anderen, in der Wirkung nicht abschätzbaren Frage wird sie sich ohnehin bald stellen müssen: Was, wenn ihr die FPÖ im Lauf der Ermittlungen abhanden kommt? Vielleicht wird Wolfgang Schüssel weiter schweigen und Strasser gewähren lassen. Vielleicht wird er aber dem Druck der FPÖ nachgeben und es bei einer "Untersuchung light" belassen, um die ramponierte FPÖ bei der nächsten Wahl auf Jahre entsorgen zu können. Doch das ist bloß Tagespolitik, die Strasser ja nichts angeht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 11. 2000)