Köln - Schriftsteller werden nicht mit 65 pensioniert. Glücklicherweise, sonst hätte Dieter Wellershoff nicht mit fast 75 Jahren einen Roman ("Der Liebeswunsch") veröffentlicht, den die Kritik ziemlich einhellig als ein psychologisches Meisterwerk lobte. Der Rheinländer, der an diesem Freitag (3. Nov.) 75 Jahre alt wird, ist als "Grandseigneur der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur" bezeichnet worden und als "Meister des psychologischen Realismus". Der Germanist und Psychologe, der über Gottfried Benn promoviert wurde und viele Jahre lang als Lektor für den Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch arbeitete, gehört nach den Worten eines Kritikers "zu den erstrangigen deutschen Autoren, die mit erfreulich wenig Getöse um ihre Person auskommen". Vielleicht gerade deshalb hat er im Bewusstsein der Öffentlichkeit nie in der ersten Reihe der Günter Grass oder Heinrich Böll gestanden. Umfassendes Werk In diesem Spätsommer hat sich Wellershoff, dessen Werk über 40 Romane, Theaterstücke und Drehbücher, Hörspiele und Erzählbände umfasst, mit einem großen Roman zurückgemeldet. In "Der Liebeswunsch" gibt er gleich zu Anfang preis, dass sich die junge Frau des Richters Veith nach einem Verhältnis mit einem anderen Mann selbstmörderisch in die Tiefe stürzt. Was folgt, sind spannende Motiv- und Spurensuche, Rückblenden und Rekonstruktionen - angesiedelt vor allem in Köln. Wellershoffs Erzählkunst lässt den Tod der jungen Frau, einer von vier Figuren des Romans, wie in einer griechischen Tragödie als unausweichlich erscheinen. Wellershoff, der 1988 mit dem Böll-Literaturpreis der Stadt Köln ausgezeichnet wurde, hat sich immer wieder selbstkritisch mit seinem Werk und dem Schreiben auseinander gesetzt. Als anerkannter Literaturtheoretiker entwickelte er ein Konzept des "neuen Realismus" und forderte eine Schreibweise, in der das "alltägliche Leben" oder auch die "pathologische oder kriminelle Abweichung" in den Mittelpunkt rückt. Seine Geschichten sind im Alltäglichen angesiedelt, in deutschen Landschaften und deutschen Milieus, wenngleich der gebürtige Neusser mehrfach Gastdozenturen im Ausland übernommen hat, so in England und im US-Bundesstaat Florida. Dem Verlag Kiepenheuer Witsch, für den er viele Jahre lang Manuskripte gelesen hatte, blieb Wellershoff auch nach seinem Ausscheiden als Lektor eng verbunden - als Autor. In einem Alter, in dem sich die meisten Deutschen allmählich zur Ruhe setzen, übernahm er Poetikvorlesungen an deutschen Universitäten. Auch als fast 75- Jähriger reist er zu Autorenlesungen durch Deutschland. Zu seinem 75. Geburtstag geben ihm sein Verlag Kiepenheuer & Witsch, das Kulturdezernat und das Literaturhaus der Stadt Köln einen Empfang. Seinen eigentlichen Geburtstag will Wellershoff aber allein mit seiner Frau Maria verbringen, mit der er seit 1952 verheiratet ist. (APA/dpa)