Wien - Die Musiktauschbörse Napster wird von Bertelsmann geschluckt. Der deutsche Mediengigant hofft mit diesem - offiziell "Kooperation" genannten - Deal darauf, dass sich die derzeit mehr als 38 Millionen registrierten Napster-User in Zukunft ein Abonnement bei Bertelsmann lösen, eine kleine Gebühr pro Monat zahlen und sich dafür ganz legal Musikdateien via Internet auf die Festplatte ihrer Computer laden dürfen.

Vertreter der Musikindustrie zitieren zwar noch Umfragen, wonach fast 70 Prozent der Napsterianer bereit seien, bis zu 15 Dollar monatlich für Musik auszugeben. Doch man hechelt mit geplanten Abo-Services den Gratisblitzern im Netz hinterher: "Die Kontrolle über Dateien im Netz ist nicht mehr zurückzuerobern", sagen Internet-Insider. Die Napster-Idee hat längst Tausende Klon-Programme, wie etwa Gnutella provoziert, die nicht auf zentrale Verbindungsserver, sondern auf dezentrale Strukturen bauen. Ein "Erfinder" - für die Plattenfirmen ein "Schuldiger" - ist nicht mehr auszumachen.

Der Hauptgrund dafür, Programme wie Napster zu benutzen, sind die Gratis-Dateien. Das kommt Heavy Usern von Popmusik - etwa Schüler, Studenten - sehr entgegen. Außerdem: Es geht relativ schnell. Ein Song mit vier Minuten Länge auf der Original-CD hat als MP3-Datei bei einer Umwandlungsrate von 128 Kilo-Bit per Sekunde eine Größe von rund 3,75 Megabyte. Mit einer Datenleitung wie beispielsweise jener über das Kabel-TV ist so ein Song binnen weniger Minuten von einer Festplatte auf die andere geladen.

Weiters ist der Datenbestand enorm. Anders als im realen CD-Geschäft findet man im Internet alte, längst vergriffene Musiknummern, eventuell auch solche, die nur auf Vinyl veröffentlicht und von einem Sammler netterweise digitalisiert wurden. Auch Obskuritäten und unautorisiert mitgeschnittene Live-Konzerte sind mit dem Napster-Suchprogramm ohne viel Aufwand vom Schreibtisch aus zu finden.

Außerdem ist der Napster-Bestand aktueller als das Angebot in den Plattenläden. Der Grund: Die Plattenindustrie schickt Wochen vor dem offiziellen Erscheinungstermin eines neuen Albums so genannte Promo-CDs an Radiostationen, Musikkritiker und sonstige VIPs. Irgendeiner der Empfänger wandelt die neuen Scheiben dann sofort in komprimierte MP3-Dateien um. Binnen Kürze stehen die funkelnagelneuen Lieder im Netz. So werden nicht nur Rechte der Musiker und Musikverlage verletzt, sondern auch Marketingkampagnen durcheinander gebracht.

Nachteil Qualität

Den einzigen Nachteil, den Napster-und-Co-User in Kauf nehmen müssen, ist, dass die Qualität von MP3-Dateien geringer ist. Dies kommt durch die Komprimierung um den Faktor fünf im Vergleich zu Audiofiles auf CD zustande. Doch die hörbaren Unterschiede sind marginal. Selbst Studiomusiker haben in Tests von Hi-Fi-Magazinen MP3 und CD-Qualität nicht auseinander halten können. Interessantes Detail am Rande: Alle Unterschiede erkannte nur ein Tinnitus-Patient, der ein permanentes, hochfrequentes Pfeifen im Ohr hört und dadurch ein verändertes Gehör hat. (Leo Szemeliker, DER STANDARD, Printausgabe 4.11.2000)