Wien - Die tektonischen Erschütterungen innerhalb der österreichischen Verlagsbranche sind - das verraten die Enthüllungen der letzten Tage - größer als bisher angenommen: Auf Kooperation mit einem deutschen Partner scheint keiner der größeren österreichischen Publikumsverlage mehr verzichten zu wollen (oder zu können). Formen der Zusammenarbeit freilich gibt es mehrere. Langfristig scheinen sie jedoch überwiegend auf eine prozentuale Beteiligung der deutschen Verlage an den österreichischen Unternehmen hinauszulaufen. Der Traditionsverlag Zsolnay wählte den direktesten Weg: Bereits 1996 ging Zsolnay in den Besitz des renommierten Münchner Hanser-Verlags über. Andere tasten sich langsamer Richtung Westen: Deuticke beispielsweise, eine hundertprozentige Tochter des staatseigenen Bundesverlags (ÖBV), pflegt seit Jahren eine Vertriebskooperation mit der deutschen Springer-Gruppe List/Econ/Ullstein. Eine solche Kooperation umfasst die gesamte Vermarktung österreichischer Bücher in Deutschland, mit Ausnahme der Pressearbeit. Eine Zusammenarbeit, die für Deuticke, so Geschäftsführerin Martina Schmidt, zu einer "60-prozentigen Umsatzsteigerung" der einst verschwindend geringen Verkaufszahlen auf dem deutschen Markt führte. Eine ähnliche Vertriebskooperation, so verriet Schmidt Ende vergangener Woche, wird dieser Tage auch für den Residenz-Verlag unterschrieben. Deutscher Partner wird ein angesehener Frankfurter Literaturverlag. Die offizielle Bekanntgabe durch das deutsche Unternehmen steht für den morgigen Dienstag zu erwarten. Anders als bei Deuticke sei, so Schmidt, eine Option auf eine künftige Beteiligung des deutschen Partners an Residenz, im Falle eines Verkaufs der ÖBV durch das Finanzministerium, durchaus Teil der langfristigen Planung. Wird der gesamte ÖBV beispielsweise im Rahmen der angestrebten Privatisierung von einem deutschen Schulbuchverlag (im Gespräch war Klett) erworben, so sei es durchaus denkbar, dass dieser die ökonomisch uninteressanten Literaturverlage weiterverkaufe. Etwa an besagten Frankfurter Literaturverlag. Nahezu zeitgleich mit Haymon öffnet sich also Residenz Richtung Deutschland. Ab Juni 2001 startet Haymon seine Vertriebskooperation mit der Deutschen Verlags Anstalt (DVA). Eine Minderheitsbeteiligung der DVA an Haymon (bis zu 49 Prozent) sei durchaus Teil der Erwägungen, so Haymon-Chef Michael Forcher. Nachteile für auflagenschwache österreichische Literatur erwarten sich Schmidt wie Forcher von dem Schritt keine. Im Gegenteil: Von der finanziellen Stabilisierung erhoffen sich beide eine Stärkung ihres verlegerischen Spielraums in Zeiten magerer öffentlicher Subventionen. Auf das aktuelle Programm angesprochen betonte Schmidt, Residenz werde auch künftig unabhängig von Deuticke agieren. Eine Vereinigung von Deuticke und Residenz schließt Schmidt dezidiert aus. Neu für Residenz gewonnen werden konnten der Österreicher Harald Kieslinger, der Schweizer Axel Capus (bisher Diogenes) und der Deutsche Uwe Dick. H. C. Artmanns Goldoni-Übersetzungen werden ebenso bei Residenz erscheinen wie eine Festschrift zu Alfred Kolleritschs 70. Geburtstag, der übrigens neben Jung und Jung bei Droschl publizieren will. Es ist alles in Bewegung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6. 11. 2000)