Am Montag hat "herbst"-Intendant Peter Oswald nicht ohne Genugtuung mitgeteilt, dass sein erstes Programm mit 105.000 Besuchern erfreulich viel Zuspruch fand. Was Peter Vujica , der dieses Amt selbst sieben Jahre innehatte, von einigen freundschaftlichen Einwänden nicht abhielt. Vujica: Im Journal Der Monat rangierst Du im Ranking der erotischen Männer der Steiermark auf Platz 20. Auf welchem Platz siehst Du Dich denn als Festspielveranstalter und den steirischen herbst unter den vergleichbaren Festivals in Europa? Oswald: Jeder muss einfach leidenschaftlich dafür kämpfen, immer besser zu werden. Auf alle Fälle sehe ich den herbst weit über Platz 20. Nebenbei bemerkt: Auch erotisch finde ich mich mit Platz 20 übrigens weit unter meinem Wert geschlagen. Vujica: In der gleichen Ausgabe dieser Zeitschrift ist auch eine Reportage über die vielen Antiquitätenläden in der Grazer Sackstraße, wo der steirische herbst sein Büro hat. Es gibt Leute, die sagen, auch der steirische herbst ist eine Gebrauchtwarenhandlung geworden. Tröste Dich, schon über meine Programme hat man das gesagt. Oswald: Mit denen, die das so empfinden, habe ich eigentlich tiefes Mitleid, weil sie einfach nicht die Lust haben, an faszinierenden Ereignissen teilzunehmen, sich diesen zu stellen. Immerhin habe ich 20 neue Videokünstlerinnen präsentiert und mit Dejan Dukovskis Pulverfass ein aufsehenerregendes Theaterstück. Ich bekenne mich eben zu einer Mixtur aus ganz Neuem mit der kontinuierlichen Pflege schon bewährter Künstler. Vujica: Na ja. Reden wir einmal über die Eröffnung mit der spanischen Gruppe La Fura dels Baus. Sie ist zwar eine altbewährte Publikumslokomotive. Es fragt sich aber, ob sie ästhetisch nicht doch schon ziemlich schrottreif ist. Oswald: Ich habe bei den Salzburger Festspielen die von dieser Gruppe szenisch gestaltete Produktion von La Damnation de Faust gesehen. Da habe ich mir gedacht, so kann modernes Musiktheater des 21. Jahrhunderts aussehen. Und da ich mit Wolfgang Mitterer schon seit meiner Zeit beim Klangforum wegen eines musiktheatralischen Projektes in Kontakt war, habe ich versucht, die beiden zusammenzubringen. Musiktheater ist für mich ein ganz wesentlicher Schwerpunkt. Im kommenden Jahr plane ich eine große Produktion von Beat Furrer mit Reinhild Hoffmann als Regisseurin in Bühnebildern von Zaha Hadid. Vujica: Was soll eigentlich diese lettristische Attacke steirisc[:her:]bst auf das vertraute herbst -Logo? Oswald: Ich betrachte es als einen ganz großen Glücksfall, dass ich bei der Biennale in Venedig Ecke Bonk nach vielen Jahren wieder getroffen und ihn zu meinem Artdirektor gemacht habe. Mit diesem grafischen Eingriff erschloss Bonk für den Betrachter eine faszinierende Vielzahl semantischer Andockmöglichkeiten: Man denkt an "risc", man denkt an "her" - auch die drei Buchstaben "bst" sind im Zusammenhang mit neuer Kunst nicht ganz unangebracht. Vujica: Wenn man Dein diesjähriges Programm, zu dessen Vorbereitung Du ja extrem wenig Zeit hattest, betrachtet, sieht es aus wie ein Kolonisierungsversuch der steirischen Eingeborenen durch Kunstmissionare aus der Bundeshauptstadt: Stella Rollig, Brigitte Felderer, Ecke Bonk, Marlene Streeruwitz, Wolfgang Reiter. Oswald: Die Bundeshauptstadt hat auf die Künstler in den Bundesländern schon immer eine große Faszination ausgeübt. Vujica: Jetzt sieht es aber fast so aus, als hätte eine Gruppe von sehr schätzenswerten Künstlern beim steirischen herbst Asyl gefunden, weil die Stützen des Wiener Kulturlebens ästhetisch wieder Smoking tragen. Von der alten Gründungsidee dieses Festivals, das Beste der heimischen Produktion mit Hochrangigem der internationalen Szene zu konfrontieren, ist jedenfalls nichts mehr übrig geblieben. Oswald : Ich kenne natürlich diese historische Gründungsrede von Hanns Koren. Doch die Voraussetzungen haben sich geändert. Damals hatte Graz eine international viel beachtete Literaturszene, und auch auf dem Gebiet der bildenden Kunst herrschte eine große Aufbruchstimmung. Das hat sich mittlerweile natürlich stark verändert. Außerdem gestehe ich, dass ich nicht so genau auf die Landesgrenzen achte. Wichtig ist für mich ausschließlich die kompromisslose Qualität. Vujica: Man muss da schon auch ein bisschen Feldforschung betreiben. Ein Kompositionsauftrag an Olga Neuwirth ist heute ein Pawlow-scher Veranstalterreflex, der sich ja sogar schon am Staatsoperndirektor feststellen lässt. Sache des steirischen herbstes ist es doch, die Olga Neuwirth von morgen zu finden. Oswald: Du kannst mir glauben, ich bin im Kontakt mit der Grazer Musikuniversität, mit Grazer Galeristen, mit Gerhard Melzer, um nur ja kein Talent zu übersehen. Doch fast gleich wesentlich scheint mir die Erschließung des steirischen Publikums für den steirischen herbst. Ich scheue keine Anstrengung. Heuer war ich an 24 Gymnasien und habe auch zahlreichen Vereinen und anderen Gruppierungen etwas von meiner Begeisterung für die neue Kunst zu vermitteln versucht. Ich bemühe vor allem, Neugierde zu wecken. Kein Taxifahrer ist da vor mir sicher. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6. 11. 2000)