Endlich wieder ein richtiger Skandal. Noch schöner: ein "FPÖ-Skandal". Am schönsten: vielleicht eine politische Krise. Rosenstingl - ein paar freiheitliche Provinzfunktionäre; Euroteam - Peanuts, und Klima ist ohnedies schon in der Nähe von Feuerland; Bank Burgenland - zahlt eh die Bank Austria. Aber jetzt: Polizei, Politiker, sogar ein "einfaches Parteimitglied", Geld, Computer; Sex fehlt noch, was nicht ist, kann noch werden.

Zunächst zu den Fakten: Funktionäre vor allem einer Partei (die zu nennen die Unschuldsvermutung verbietet) werden beschuldigt, wirkliche oder vermeintliche Gegner durch Polizeibeamte bespitzelt zu haben und sich illegal Daten aus dem polizeilichen Informationssystem EKIS besorgt zu haben. Ermittlungen führen zu Suspendierungen, vielleicht zu baldigen Anklagen. Ein Minister stellt seine Eignung zum Parteianwalt unter Beweis. Eine Partei erklärt (a) alles für erstunken und erlogen, kündigt (b) ultimative Gegenschläge an, beschuldigt (c) alle anderen, bastelt (d) an der Alpenfestung für den Notfall ("Notwehr der Polizisten").

Blinde Flecken, falsche Partei?

Viele Menschen sind ehrlich empört, noch mehr in ihrem politischen Zynismus bestätigt: "Die da oben - ja, die gehören auch dazu!" Die SPÖ und manche Edelfedern orten Staatsnotstand und Demokratiegefährdung, vor allem aber den größten Spitzelskandal der Zweiten Republik.

Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Sollte alles stimmen, so hätten wir kriminelle Tatbestände und politischen (Macht-)Missbrauch. Nur leider (und das entschuldigt nichts): Wie tief der Sumpf auch sein mag, der Gestank ist uns vertraut. Daher etwas Medizin gegen politisch-journalistischen Alzheimer.

Erstens: Politische Gegner (und nicht nur sie) wurden (werden?) in der Zweiten Republik traditionell bespitzelt. Gerade unter sozialdemokratischen Innenministern (z. B. Blecha, Lanc, Löschnak) wurden Spitzelakten über Zehntausende Österreicher/innen angelegt.

Der Schreiber dieser Zeilen hatte selbst das zweifelhafte Vergnügen, eine Kopie seines Stapo-Aktes einzusehen. Inhalt: Exzerpte aus Verlautbarungen der Wiener Zeitung (Renner-Preisträger, Kassier des Vereins "Demokraten gegen Neonazis"). Interpretation: (a) Irgendetwas muss die Stapo auf Steuerzahlerkosten ja lesen und kopieren. (b) Je- de/r wurde bespitzelt, der/die irgendwie aufgefallen ist.

Ich bin hier kein echtes Opfer, meine Daten waren Schrott. Aber irgendwer wird schon (a) Flugblätter verteilt, (b) Freund/in von falschem Geschlecht, mit falschen Ideen oder falscher Nationalität gehabt, (c) zu viel getrunken, (d)-(z) . . . haben. Rechtsstatus der Ermittlungen: legal, illegal, sch . . . Zweck: Man weiß ja nie. Rechtliche Konsequenzen: keine; disziplinarische Maßnahmen: keine; politische Verantwortung: keine.

Das war der größte Spitzelskandal der Republik. Aber natürlich kann sich der SPÖ-Vorsitzende nicht erinnern (Gnade der späten Geburt), die Journalisten auch nicht (Schnee von gestern), die "kritischen" Intellektuellen und Künstler schon gar nicht (falsche Partei). Unrechtsbewusstsein der Akteure: damals keines, daher heute auch keines.

Andere Farbe, plumpere Methoden

Damit sind wir wieder beim rezenten Skandal. Was ist neu? Die Sumpfblüten haben die Farbe gewechselt. Die Technik ist zwar zugriffsfreundlicher, aber ein Hund: EDV-Abfragen werden gespeichert. Die Vorgangsweise ist plumper: Pressekonferenzen statt ein paar Telefonaten oder Vier-Augen-Gesprächen mit dem Verweis auf Dinge, die man halt so weiß. Die Bespitzelung ist zielgruppenorientiert: nur die Interessanten, nicht mehr jede/r. Ach ja: Cash statt Karrierehilfe.

Zweitens, Rechtsstaat und Ressortführung betreffend: Dass Politiker (nicht nur der großen Oppositionspartei), von Journalisten ganz zu schweigen, Zugang zu vertraulichen Daten hatten, war allgemein bekannt (siehe Pressekonferenzen). Exminister "E" und "L": Wir haben nichts finden können. Exminister "S": zu viele Zugriffe, daher Kontrolle zu aufwendig, ein paar Stichproben, die nichts gebracht haben.

Böse Zungen würden vermuten: Hätte man wirklich gesucht, wer weiß, was und wen alle(s) man gefunden hätte. Ministerverantwortung: falsche Partei (ich weiß, ich wiederhole mich).

Drittens: Wozu sammeln wir - vor, mit, nach EKIS - so viele schöne Daten? Wer entscheidet, welche Daten (und welche nicht)? Wenn wir sie schon einmal haben, speichern wir sie natürlich auf ewig, und es wäre doch zu schade, wenn man sie nicht benutzt.

Scherzbolde rufen bei der Polizei das Geburtsdatum des SPÖ-Vorsitzenden ab, Beziehungsgeschädigte die Geheimnummer der "Ex", Parteifunktionäre die Einkommenssituation von Unbequemen. Und keiner wollte wissen, wozu man das braucht?

Scheinheiligkeit und systematische Erinnerungslücken ebenso wie gezieltes Desinteresse gehören offenbar zu den Wesensmerkmalen von Teilen der politischen und medialen Elite und zur nationalen Identität. Im Übrigen auch unsensible Justizminister: Broda selig bevorzugte Herrschaftswissen über die Nazivergangenheit von Prominenten anstelle von öffentlichen Verfahren, Böhmdorfer stellt taxfrei Persilscheine aus.

Warnung vor Hybris und Hysterie

Trotzdem hat sich etwas geändert: Es gibt Ermittlungen, es gibt erste Konsequenzen, es wird wohl auch Verurteilungen geben. Der Rechtsstaat gibt ein kräftiges Lebenszeichen. Leider nicht im Falle illegaler Grenzblockaden, aber deren Betreiber sind ja politisch korrekte Gesinnungstäter. Würden sie aus falscher Gesinnung die Grenzen blockieren, würden die Oppositionsparteien und manche Kommentatoren rasch nach dem Rechtsstaat rufen. Das gehört eigentlich nicht zum Thema - oder doch?

Und was die politischen Konsequenzen betrifft: Wenn eine Partei durchdrehen sollte, eine Regierungskrise provoziert und Neuwahlen erzwingt, nur weil die Behörden das tun, was sie schon immer hätten tun sollen, so wird ein Gutteil ihrer einstigen Wähler schon das Kreuz woanders machen. Primäres Wahlmotiv für die FPÖ war der Wunsch nach politischer Veränderung. Wer diese Chance aus Hybris und/oder Hysterie verspielt, wird für sehr lange Zeit ausgespielt haben.

Peter A. Ulram ist Universitätsdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Leiter der Sozialforschung bei Fessel+GfK.