Wien - Coop Himmelb(l)au haben den traditionellen Wiener Wohnblock gesprengt und die Splitter in der Vorgartenstraße zu einem neuen, zeitgemäßen Architekturtypus herniederrieseln lassen. Die kommende Diskussion in der Stadtplanung, sagt Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au, werde die geschickte Durchmischung von öffentlichem mit halböffentlichem Raum zum Inhalt haben, und damit auch die Wiener flott in diese Debatte einsteigen können, haben die Architekten gerade ihr jüngstes Haus in der Wiener Vorgartenstraße eröffnet. Mit SEG und Porr als Bauträger beziehungsweise Baufirma entstand ein Wohnbau mit 144 Eigentumseinheiten, zehn Büros, einem Café und jeder Menge Luft- und Freiraum dazwischen. Der traditionelle Wiener Wohnblock mit seiner dichten, gelegentlich erstickenden Gebäudepackung und dem innen gelegenen begrünten Hundstrümmerl- und Kinderspielhof wurde von den Wiener Architekten durchbohrt, zerlöchert, gesprengt und zu einem neuen, lockeren Konstrukt zusammengesetzt. Das zeitgemäße Block-Pendant, so Himmelb(l)auer Helmut Swiczinsky, ist durchlässig, seine unteren Zonen werden von Bewohnern und Passanten gewissermaßen durchwurlt, die Stadt hört nicht an der Haustür auf, sondern zieht sich mit Geschäften, Plätzchen, Rampen, Grünterrassen, Durchgängen quer durch das Gebäude. So lieblich, wie sich das anhören mag, zeigt sich die Sache allerdings nicht, die Architektur ist unverspielt, sympathisch klar, zonenweise schroff und mit bis zu sieben Geschoße hohen schrägen Stützen aufregend gewagt. Das Wohnhaus setzt sich aus insgesamt sieben Blöcken zusammen, die in raffinierten Beziehungen zueinander stehen und nicht schuhschachtelartig daherkommen, sondern skulptural ausgebildet, also teils verdreht, verzerrt, verwickelt sind. Das ergibt zum einen einen dynamischen und auch der Orientierung dienlichen Gesamteindruck und züchtet zum anderen eine Wohnungsvielfalt, über die sich sowohl Käufer als auch Bauherrin SEG freuen dürfen. 40 Typen stehen zur Verfügung, zwei Drittel der Wohnungen sind mit mindestens einer Terrasse veredelt, diverse als Maisonetten ausgebildet. "Wichtig war uns ein Bruch im Normkastldenken", sagt Swiczinsky. "Der öffentliche Raum gewinnt in der Stadt an Bedeutung, er darf kein Überbleibsel zwischen den Häusern sein, sondern muss definiert und gestaltet werden." Die Wohnungen sind gefördert, die Architekten hatten sich also an beinharte Kostenvorgaben zu halten, und dass dabei letztlich gute Architektur und nicht der übliche Hühnersteigenwohnbau herauskam, spricht sowohl für ihr Durchsetzungsvermögen als auch den Baukulturanspruch der Auftraggeber. "Formwille ist auf gute Bautechnologie gestoßen, und gemeinsam sind wir aus dem Rasterwohnbau ausgebrochen", sagt Prix. Das Haus in der Vorgartenstraße ist nach dem vor rund drei Jahren fertiggestellten Wohnhochhaus in der Wagramer Straße der zweite Streich der himmelb(l)auen Wiener Trilogie. Nach Turm und Block wird sie mit der Kuppel vollendet - Mitte 2001 können die Coop-Wohnungen in einem der vier Gasometer bezogen werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 11. 2000)