Wien - Martin Puntigam liebt die Herausforderung. In jede seiner tragikomischen Kabarettgrotesken schreibt er sich Passagen hinein, von denen er weiß, dass sie ihm nicht leicht fallen werden: vom erotischen Tanz mit der Federboa bis zum Verzehr von Hundefutter. In seinem neuen Solo "Spam" setzt er der Selbstverachtung die Krone auf: Er geht ins Publikum. Das Klingt unspektakulär, bedeutet aber für einen stets auf Distanz bedachten Künstler seines Schlags ein Höchstmaß an Überwindung. Mit allen vorsätzlich peinlichen Posen und Possen verkörpert Puntigam einen schleimigen Gruppenleiter, dessen oberste Anliegen Toleranz, Harmonie und die Senkung der Heizkosten sind. Gemeinsam werden Lieder gesungen, die Stadion-Welle einstudiert und Energiespar-Quizspiele veranstaltet: "Es ist wie beim Feiern und Lynchen: Es macht am meisten Spaß, wenn alle mittun!" Doch natürlich hat dieser vermeintliche Weltverbesserer auch seine Schattenseiten. Kein Mensch wird freiwillig zu einem derartig gewöhnlichen Frohbotschafts-Missionar. Stück für Stück fällt die Fassade. Es bleibt ein Häufchen Elend, das sich verzweifelt bemüht, zumindest sich selbst einzureden, es habe zwar viel Pech gehabt, aber sein Leben zwischenzeitlich immer wieder ganz gut im Griff. Von wegen. Die letzte freie Entscheidung ist Frühgeschichte. Ein Opfer abstruser beruflicher Debakel und wahnwitziger familiärer Verhängnisse. Dabei hat er seine Frau doch nur ein einziges Mal betrogen: "Und um was denn? Um einen weiteren scheußlichen gemeinsamen Abend zuhause?" "Spam" ist der Puntigamschen Trilogie befremdlicher, völlig verkorkster Schicksale dritter Teil - und der mit Abstand realistischste. Somit weitaus verträglicher, als es das in aller Freundlichkeit unflätige Programm-Plakat nahe legt. In der Art, wie er erzählt, wie er Romantik mit Grauslichkeit bricht und die Unglaublichkeiten immer noch zu steigern versteht, hat sich nur wenig verändert: doch der Humor und die dramaturgische Raffinesse sind auch weiterhin ein sprudelnder Quell großen Amusements abseits des Üblichen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 11. 2000)