Geschlechterpolitik
Familie auch ohne Ehe
Mit oder ohne Trauschein, in Oberösterreich spielt das keine Rolle mehr
Linz - "Kein Rückschritt, sondern ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen" ist die
neue Landesverfassung, die
nächste Woche im oberösterreichischen Landtag mit Zweidrittelmehrheit beschlossen
werden soll. Grünen-Klubobmann Rudi Anschober, VP-Klubobmann Ferdinand Stockinger und SP-Klubchef Karl Frais sind mit der Reform der Landesverfassung hoch zufrieden. Nur mit der FPÖ "ist kein Konsens möglich gewesen", bedauert Frais, Vorsitzender des Ausschusses. Die FPÖ hat sich in einigen Punkten bereits gegen die neuen Bestimmungen ausgesprochen. So manche Partei dürfte beiden Neuerungen über ihren "ideologischen Schatten" gesprungen sein: Egal ob Mann oder Frau im Haushalt werkt oder einem Erwerb nachgeht, herrschen hier künftig die "Gleichachtung" und die "freie Entscheidung dazu. Das Bekenntnis zur Familie, die "Bestand und Lebenskraft der Gesellschaft" bestimmt, wird vom Begriff der Ehe losgelöst betrachtet. Für VP-Klubobmann Stockinger war die Ehe "einst die Idealform des Zusammenlebens", aber man müsse akzeptieren, dass heute Paare anders entscheiden. Künftig wird zwischen LebenspartnerInnen mit und ohne Trauschein nicht mehr unterschieden. Auch durch verwandtschaftliche oder schwägerliche Beziehungen kann eine Familie begründet sein; wenn etwa Kinder bei Großeltern, Tanten und Onkeln aufwachsen und im gemeinsamen Haushalt leben. Homosexuelle Beziehungen bleiben aber in dem neuen Entwurf unberücksichtigt. Keine Diskriminierung
Auf besonderen Schutz dürfen sich künftig sexuell Diskriminierte berufen: Es wird
als Staatszielbestimmung ausdrücklich festgeschrieben,
dass niemand aufgrund des Alters, des Geschlechts, einer
Behinderung oder sexuellen
Orientierung benachteiligt
werden darf. "Grüne Andersrum" und die Homosexuellen-Initiative haben diesen Punkt
als "grüne Handschrift" im
Verfassungsentwurf begrüßt. Diesen Punkten verweigert die FPÖ gänzlich die Zustimmung. Klubobmann Günther Steinkellner befürwortet, das
"Rechtsinstitut der Ehe zum
Wohle der Kinder" aufrechtzuerhalten, weil nichteheliche
Partnerschaften leichter gelöst
würden. Weiters moniert er,
dass künftig jede Form der sexuellen Orientierung gleich zu
behandeln sei. Weitere Neuerungen: Der
Mensch kommt vor der Wirtschaft, der Schutz der Sonn-
und Feiertage sowie Sicherung
von Nahversorgung und
Landwirtschaft.Die Änderung der oberöstereichischen Landesverfassung war notwendig geworden, weil laut SP-Klubobmann
Frais in die bestehenden Bestimmungen "so viel reingepfercht worden ist". (Standard-Mitarbeiterin Andrea Waldbrunner)
(DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 9.10.2000)