Geschlechterpolitik
Wieder eine Wahl geschlagen
Und was lernen wird daraus?
Die US-Journalistin Elizabeth Drew führt vor, wie man frühmorgens (Ortszeit) ein Wahlergebnis kommentiert, das spätabends noch ganz anders ausgesehen hatte beziehungsweise plötzlich keines mehr ist: Kleines Organon zum "Rennen" Bush vs. Gore. Auszüge aus einem Beitrag für die Online-Ausgabe der Tageszeitung "USA Today"
.
Wahlen sind für alle Beteiligten lehrreich, diesmal nicht weniger, eher mehr als je zuvor.
Die Lehre für zukünftige Kandidaten: Wer zum Wettkampf um das erste Amt im Staat antritt, sollte aufhören, sich auf
Meinungsumfragen und Zielgruppen zu konzentrieren, und in größeren Dimensionen denken. Besonders problematisch bei
dieser Wahl war die Tatsache, dass keiner der Kandidaten der beiden großen Fraktionen das auch nur ansatzweise tat.
Abgedroschene Themen, abgedroschene Ideen. Und die Wähler wussten sehr wohl, dass man ihnen nur aufgewärmten Kaffee
servierte. Es kam - sieht man von den letzten Stunden der Stimmenauszählung ab - keine Spannung auf: Weder Bush noch
Gore vermittelte den Eindruck, er würde uns in eine bestimmte Richtung führen, beide knallten uns nur ein paar Programme
hin, um uns bei Laune zu halten.
Schade um John McCain
Viele Menschen glauben, dass John McCain, hätte er das Finale erreicht, die Wahl für sich entschieden hätte. Das ist graue
Theorie, aber aufschlussreich.
McCain hat an der Politik Desinteressierte angesprochen, weil ihm jeder abnahm, er würde tatsächlich in Washington
"aufräumen", und weil er die Menschen aufforderte, an etwas zu glauben, das größer ist als ihre eigenen Interessen. (Ralph
Nader hat mit ähnlichen Appellen insbesondere junge Menschen angezogen.)
McCain hat den Menschen nicht gesagt, was er für sie tun würde. Aber man muss kein Rebell - ein unvermeidlicher Loser -
sein, um die Ansprüche der Menschen auf eine höhere Stufe zu stellen. John F. Kennedy hat es getan, und er war in
gewisser Hinsicht ein konventioneller Politiker. Der Politiker, der die Menschen anspricht, indem klar macht, wohin er sie
führen will, hat die Chance, dorthin zu gelangen, wenn er einmal gewählt ist.
Lehre für die Medien: Die Medien täten gut daran, die Öffentlichkeit zu informieren - was schließlich ihr Job ist - statt sie auf
Stimmungsschwankungen einzugehen. Die "Logik", wer diese Wahl gewinnen würde, wechselte andauernd, bis wir uns
schließlich gefrotzelt fühlten. Es scheint, dass die Vertreter der Medien alle vier Jahre den Vorsatz haben, sich an dem
"Pferderennen" nicht zu beteiligen, und es dann doch tun. Damit erweisen sie ihren Kunden einen Bärendienst.
Vor allem leidet darunter die Berichterstattung. Einmal war Al Gore derjenige, der nichts richtig machen konnte, dann wieder
George W. Bush (es ist ein ehernes Gesetz, dass der Verlierer immer unrecht hat). Diese "Er macht alles falsch"-Phrasen
führen zu Vereinfachungen und könne sich sogar hemmend auf die Wahldynamik auswirken.
Als zum Beispiel Gore das Thema der Rezeptkosten mit einer Geschichte über seine Schwiegermutter und seinen Hund
verband, war das ein kleiner Schwindel, aber kein Grund zur Beunruhigung. Doch da ging die Jagd schon los. Als Gore kurz
darauf bei einer Unionsfeier erzählte, dass er mit einem Lied auf die Union in den Schlaf gesungen wurde - wieder ein
harmloser Witz -, stürzten sich die Medien auf ihn und stellten fest, dass das Lied erst Jahre nach seiner Geburt komponiert
wurde. Damit wurde Gore zum Gewohnheitslügner abgestempelt.
Genau so groß war die Aufregung über einen Bush-Sager, als er mit dem Wort "subliminal" in Zusammenhang mit
"Bürokraten" Schwierigkeiten hatte. Sofort wurde suggeriert, er wollte eigentlich "rats" sagen. Dass sein Beraterteam ihn den
ganzen Tag nicht auf diesen Sprechfehler aufmerksam machte, ging dabei völlig unter.
Lehre für die Meinungsforscher: Es wäre besser, wir alle würden die Meinungsumfragen weniger wichtig nehmen. Sie sind in
den Sand geschrieben und lenken vom Wesentlichen ab - aber das ist unser Problem. Es wäre jedenfalls gut, wenn alle
Medien bei Umfragen nach einem Schema vorgingen, damit wir mehr Vertrauen in sie haben könnten. Die verschiedenen
Umfragen werden zu verschiedenen Tageszeiten durchgeführt, und damit ändert sich die Kategorie der Befragten. Tagsüber
sind häufig ältere Menschen zu Hause zu erreichen, Kranke und Behinderte. Auch in der Frage nach den "möglichen
Wählern" und der Methode, sie zu identifizieren, herrscht keine Übereinstimmung. Wie sagt doch der Meinungsexperte Peter
Hart: Niemand von uns kennt die perfekte Antwort.
Seltsame Zahlenspiele
Die Zahl der befragten Personen sollte auf jeden Fall groß genug sein, auch wenn das die Kosten erhöht. In den letzten
Wochen dieser Wahl haben zum Beispiel USA Today, Gallup und CNN die Gruppen wesentlich erweitert, und schon haben
die Zahlen aufgehört, wie wild auszuschlagen. Einige Meinungsforscher legen auf die Typisierung der Untergruppen größeren
Wert als andere - Alter, Geschlecht, Rasse etc. -, auch wenn es sich um ein und dieselbe Wählergruppe handelt. Und was
Untergruppen von Untergruppen anbelangt - zum Beispiel eine Frau über vierzig, oder das Verhalten eines Nader-Wählers -
sollte man nicht unerwähnt lassen, dass die jeweilige Gruppe dann naturgemäß besonders klein und ihr Aussagewert daher
fragwürdig ist.
Auch die Reihung der Fragen kann das Resultat beeinflussen (eine einleitende Frage über Bill Clinton kann zu einer negativen
Antwort über Al Gore führen).
Vielleicht sollten uns die Medien das Prozedere der Befragung mitteilen. Das wäre fairer und aufschlussreicher.
Lehre für das Wahlvolk: Jede Stimme zählt. Und nicht nur bei Präsidentschaftswahlen. Die Beteiligung bei den Primaries ist
geringer als bei der allgemeinen Wahl, vor allem für die Abgeordneten in den Kongress. In Zeiten von Wahlen hörte man oft
den Seufzer: How did we end up with these turkeys? Aber wo waren die Wähler, als die Versager gewählt wurden?
Nicht jammern, handeln!
Wenn die Öffentlichkeit von dieser Art der Wahlkampagne genug hat, wenn die Menschen beunruhigt sind, über die
Geldbeschaffung der Kandidaten, dann sollten sie eine Initiative gründen, um die Wahlfinanzierungsgesetze zu ändern. Schon
eine kleine Änderung - das Verbot von direkten, unbegrenzten Spenden von Konzernen, Berufsgruppen und Privatpersonen,
die möglicherweise illegal zur Wahlpropaganda verwendet werden - würde einen großen Unterschied machen.
Es geht auch anders.
Ehrlich. (Elizabeth Drew, Journalistin und Buchautorin, lebt in Washington, D. C.)
(DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 9.11.2000)