Luise Ungerboeck "Eine Reise in den Orient ist zugleich immer eine Begegnung mit der Familie", sagt Ibrahim, ein Bildhauer, der sich in der Hauptsaison als Reiseleiter Geld für seine künstlerischen Aktivitäten dazuverdient. Mit einem geduldigen, herzlichen Lächeln und fast akzentfreiem Deutsch nimmt er seine Gäste aus Nemsa, wie Österreich auf Arabisch genannt wird, in der Ankunftshalle des spartanisch ausgestatteten Flughafens von Damaskus in Empfang. Was die legendäre familiäre Gastfreundschaft der Syrer bedeutet, werden wir später erfahren, Ibrahims Herzlichkeit ist beispielhaft für jede Begegnung. Eile ist ab hier ein Fremdwort. Zunächst gilt es, die gemächlichen Zoll- und Einreiseformalitäten über sich ergehen zu lassen. Die Wichtigkeit der kontrollierenden Militärs steigt offenbar mit der Länge der Warteschlange. Überraschenderweise interessiert niemanden, wieviel Devisen jeder einzelne als Tourist verkleidete Journalist mit sich führt. Wichtig ist, keinen israelischen Stempel im Reisepaß zu haben, ansonsten wäre Damaskus die Endstation und der sofortige Rückflug die Folge. Vom eindrucksvollen Zauber des Orients spüren wir vorerst wenig. Allgegenwärtig der syrische Präsident Hafis al-Assad, dessen Abbildungen an praktisch allen öffentlichen Plätzen und prächtigen Moscheen prangen. Das weckt Assoziationen zum realen Sozialismus im prärevolutionären Rumänien. Grafisch verjüngt, nicht alternd und mit tiefgründigem Lächeln wechseln sich seine Portraits mit jenen seines erstgeborenen Sohnes, Basil al-Assad, dem sogenannten Kronprinz, der bereits vor einigen Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, ab. Die beiden begleiten uns Schritt und Tritt, bis wir Syrien in Richtung Jordanien verlassen werden. Ibrahim kennt den Hausgebrauch der Zöllner - ein paar Scheinchen zwischen den Pässen beschleunigen die Einreise erheblich - und führt uns zum bereitstehenden Autobus. Damaskus, das wir etwa eine halbe Stunde später erreichen, gehört zu den ältesten, kontinuierlich besiedelten Städten der Menschheit. Angeblich, so besagt die Legende, hat es sogar die biblische Sintflut als herausragende blühende Insel überdauert. Heute dominiert auf den ersten Blick ein gewisser Ostblock-Flair, wie wir ihn aus Sofia, Bukarest oder Belgrad kennen, insbesondere das nachmittägliche Verkehrschaos mit den stinkenden Zweitaktern. Jeder fährt einfach darauf los, es gibt wenige Ampeln und wenn, dann werden sie ignoriert. In den hinteren Reihen des Busses Platz zu nehmen, erweist sich als wertvoller Rat einer Kollegin, denn der Busfahrer fährt allzu rasant, um es nobel zu umschreiben. Wir versuchen indes zu erspähen, wann der Orient denn endlich seine ersten Klassiker vor uns ausbreitet. Ein spontaner Stopp verheißt Aufregendes. Alle zücken die Fotoapparate und verlassen fluchtartig die Sitzreihen. Wir stehen vor dem Suq al-Hamidiyeh, der Hauptschlagader des damaszenischen Warenhandels, der sämtliche westliche Einkaufstempel erblassen läßt. Unmittelbar nach dem Eingangstor tauchen wir im ummauerten Altstadt-Labyrinth aus Gewölben, Gassen und Gängen in einem nichtendenwollenden Menschenstrom aus Gerüchen, Düften und Geräuschen unter. Kaufen kann man in den unzähligen Basaren praktisch alles, kilometerweit reiht sich Laden an Laden. Die Vermarktung der Produkte erfolgt übrigens durchwegs mündlich, bunte Werbeflächen oder -spots gibt es hier nicht. Wer besondere Attraktionen feilbietet, spricht die potentiellen Käufer einfach an und macht Gusto. Gefeilscht wird nur dort, wo es sich wirklich lohnt, Grundnahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände haben quasi einen Festpreis. Ohne Plauderei bei Tee läuft kein ordentliches Geschäft an. Betäubende Gerüche im Suq Verzaubernd betörend duftet es im Gewürzsuq, der rasch von der Billig- und Konfektionsware weglockt. Nelken, Zimt, Koriander, Kümmel, Curry & Co. finden sich appetitlich in offenen Säcken aneinandergereiht, so könnte es in Tausendundeine Nacht gerochen haben. Um die Ecke finden sich feine Holzschnitzereien und mit kostbaren Intarsien verzierte Möbelstücke. Faszinierend auch der Goldsuq, wo die Familien sozusagen ihre Altersversicherung anlegen indem sie - je nach Finanzlage - Schmuckstücke kaufen. Hat man sich in den winzigen Gäßchen dann endgültig verirrt, bekommt man eine erste Kostprobe der orientalischen Gastfreundschaft: Von beruhigenden Worten begleitet, kredenzt der Hausherr eine Tasse Tee, man versucht sich über das Ziel zu verständigen und wird meist dorthin gebracht. Verläßt man die Mauern des Suq, erreicht man nach kurzer Fahrt das geistliche Zentrum der Stadt, die prächtige Omayyaden-Moschee. Ursprünglich ein römischer Jupitertempel, diente er - zum Teil gleichzeitig - jeder Weltreligion als Obdach. Beeindruckend sind der dreischiffige Gebetssaal, der Pavillon in der Mitte des Hofes, in dem die vorgeschriebenen Wasch-Rituale absolviert werden und vor allem der Arkadenhof mit grüngoldenen Paradies-Mosaikbildern geschmückt. Sie wurden jüngst erneuert, zeigen aber noch die Verwandschaft des frühen Islam mit der byzantinischen Bildsprache. Zu den beeindruckendsten Denkmälern der wechselvollen Geschichte Syriens gehört jedoch zweifelsohne Palmyra, die sagenhaft reiche Karawanenstation an der Seidenstraße. Einst Residenz der eigenwilligen Regentin Zenobia, die ihre Herkunft auf Kleopatra zurückführte, steht Palmyra, die Palme, für unermeßliche Schönheit und Reichtum im ersten Jahrtausend vor Christus. Von Damaskus kommend erreichen wir die wahrscheinlich schönste Ruinenstadt des Nahen Ostens mittags und es ist bereits glühend heiß, als wir durch das Hadrianstor schreiten. Im dritten Jahrhundert wurde Palmyra unter Caracalla zur römischen Kolonie. Die arabische Regentin Zenobia nutzte 267 n. Chr. Roms Krise im Alemannenkrieg und übernahm die Herrschaft. Fünf Jahre später mußte Zenobia abdanken und Palmyras legendärer Wohlstand reduzierte sich Schritt für Schritt bis zur Vergessenheit. Das Besondere an der Karawanenstadt wurde indes im zwanzigsten Jahrhundert unter meterhohem Wüstensand wieder freigebuddelt: Ein orientalisches Erbe, das einzigartig mit hellenistischer und römischer Architektur verschmolz. Wer sich Syrien ohne gruppendynamische Übungen auf eigene Faust erschließen möchte, ist gut beraten, einen Kompaß mitzunehmen, denn die Verkehrsschilder sind überwiegend in arabischen Schriftzeichen und Irrwege praktisch vorprogrammiert. Um den syrischen Geheimdienst nicht als stillen Begleiter dabei zu haben, gaben wir uns nirgends als Journalisten zu erkennen. Nützlich sind zudem Toilettenpapier - Raststätten an der Autobahn sind rar und eher schlecht gewartet -, eine Taschenlampe für ab und an vorkommende Stromausfälle und eine Thermosflasche, um stets kühle Getränke parat zu haben. Tunlichst zu vermeiden sind Telefongespräche in Hotels, wo horrende Phantasiepreise verrechnet werden. Die mobile Alternative, das Handy, scheidet aus, weil es in Syrien kein GSM-Netz gibt. © DER STANDARD, 4./5. Juli 1998