Wer braucht einen Motivationsschub, um in den immer graueren und kürzeren Novembertagen (vom darauf folgenden Monat mit seinem Völlerei-Finale gar nicht zu reden) etwas für die körperliche Verfassung zu tun? Wer sucht andererseits eine Ausrede, damit er oder sie im März, wo weder Schulferien angesagt sind noch Hotel-Billigpakete angeboten werden, in die Schweizer Alpen fahren kann? Der Engadiner Marathon ist für beides gut. Und ganz unabhängig davon tut er gut.

42,195 Kilometer Langlaufen kann man auch anderswo. Stimmt, nur lässt man sich ohne Bewerb selten auf solche Längen ein. Und es gibt zwar - so der nächste Einwand - viele andere Marathon- oder noch längere Bewerbe. Aber kaum einer kombiniert Landschaftserlebnis, Schneesicherheit und eine für alles gerüstete Organisation so überzeugend wie das Graubündner Schiereignis jeden März. Immer am zweiten Sonntag, seit 1969 wachsend und inzwischen auch Teil des "Worldloppet", eines Zusammenschlusses von Veranstaltungen zum "Skilauf rund um die Welt".

Von Maloja am oberen Ende des Engadins (fast schon in Italien, von wo auch das gute Wetter herkommt), geht die meist großzügig breite Piste über zwei zugefrorene Seen, vorbei an Sils Maria (jüngst wieder dank Nietzsche-Gedenkjahr in allen Feuilletons), St. Moritz und Pontresina. Gelegentlich müssen die Teilnehmer enge Waldwege befahren; aber auch da kann nicht viel passieren - die Bäume sind mit Matratzen gepolstert. Zum Schluss gleitet man durch das breite Inntal wie durch eine Kulissenlandschaft für einen Heidi-Film bis zum Bahnhof

S'Chanf, von wo es präzise getaktet massenweise wieder zurück nach St. Moritz geht. Grade mal eine Stunde 25 Minuten brauchen die Schnellsten (früher, auf einer anderen Strecke, ging's noch schneller).

Ein paar Zahlen zum Ereignis: 1969, beim ersten Bewerb, nahmen weniger als 1000 LäuferInnen teil, wobei die Innen in der radikalen Minderheit waren; heuer, beim 32. Bewerb (einmal, 1991, fiel er wegen Wärmeeinbruchs aus), waren es fast 13.000, unter ihnen immerhin mehr als 2000 Frauen; die Sportler kamen aus ganz Europa - 198 aus Österreich - und von so weit weg wie USA, Kanada, Neuseeland und Japan (lokalpatriotische Zusatzstatistik: Obwohl sie nur knapp eineinhalb Prozent der Teilnehmer ausmachten, waren in den vergangenen sechs Jahren fünf Österreicher oder -innen auf dem Siegerstockerl).

Im Alter rangierten die Teilnehmer 2000 zwischen 17 und 91 Jahren. Und es gibt 38 "Giubilers", die alle Engadiner Marathons bestanden haben. Was lernen wir daraus? Dass es Leute gibt, die nie genug haben können, oder dass der Bewerb nicht so schwer sein kann? Wahrscheinlich beides.

Schwer ist er wirklich nicht, relativ gesehen. Im Unterschied zum Laufmarathon, den man nur sehr gut Trainierten empfehlen kann, genügt es, mit den Brettln einige Erfahrung und halbwegs Kondition zu haben; und wer nur dabei sein und nicht siegen will, kommt im Loipenlauf zwar langsam, aber ziemlich sicher ans Ziel. Eine Pulsuhr hilft, die speziellen Verhältnisse in fast 1800 Meter Höhe zu berücksichtigen. Für Knorr-Suppe, Rivella-Orangeade und sonstige bodenständige Erfrischungen sorgen alle paar Kilometer die üblichen Standln.

Zu bodenständig, apropos, geht es bei dem Ereignis zum Glück nicht zu. Die vielen Nationalitäten der Teilnehmer, aber auch das gern beschworene, nicht beweisbare, dennoch vorhandene "Flair" Graubündens sorgen dafür. Wer gern in den Alpen ist, aber nicht unbedingt in der Ö-Regional-Variante, für den lohnt sich die Reise in den Südwesten: noch ein guter Grund für den Marathon.
Michael Freund

Der 33. Engadiner Skimarathon für Männer und Frauen findet am 11. März 2001 statt, ein spezieller Frauenlauf eine Woche vorher. Informationen, Bilder, Anmeldeformulare unter www.engadin-skimarathon.ch oder unter Tel.: 0041-81-8426685.