Kultur
... und niemand holt Vertriebene zurück
Stingl bat Kultusgemeinde "im Namen unserer Stadt um Verzeihung"
Graz - Er bitte, sagte Ariel Muzicant, um Verständnis für die Frage: "Warum erst jetzt?" In all den Jahren nach 1945 "sind wir oft gegen Gummiwände gelaufen", erinnerte der Präsident der Österreichischen Kultusgemeinden. Als ein Teil der jüdischen Gemeinde zurück nach Österreich gekommen sei, "wie viel Hass und Emotionen hat ihnen da entgegengeschlagen".
Darum sei gerade dieser Wiederaufbau der Grazer Synagoge, die an diesem Donnerstag der Grazer Kultusgemeinde übergeben wurde, ein "wichtiger Schritt zur Versöhnung, für den ich danke".
Was aber kommt dann, was wird sein in zehn, zwanzig Jahren? fragte Muzicant weiter. In Graz leben gegenwärtig rund 120, meist ältere Juden. Wie viele werden in einigen Jahren noch da sein? Diese Synagoge dürfe nicht allein ein Mahnmal bleiben, sondern ihrer Bestimmung gemäß mit Leben, Geist und Werten erfüllt werden. Aber da existierten zwei Sprachen in der Politik: Jene, die sich für die Errichtung der Synagoge stark machen, und jene, die die Grenzen schließen.
Muzicant: "Was tut die öffentliche Hand, um vertriebene Juden zurückzuholen?" Er kenne viele, die gerne nach Österreich, nach Graz zurückkommen würden, auch junge, gut ausgebildete Juden, die gerne mithelfen würden, die Gemeinde wieder aufzubauen und für die Gesellschaft in der Wissenschaft, der Kunst oder Wirtschaft einen Beitrag zu leisten. Muzicant: "Aber man lässt sie nicht herein, man ist an ihnen nicht interessiert." Was mache es auch für einen Sinn, heute hier eine Synagoge zu übergeben und bei den laufenden Restitutionsverhandlungen in Washington zu erklären, Österreich hätte "schon zu viel zurückgegeben".
Abgeriegelt
Es waren notwendige, kritische Worte an diesem Feiertag, an dem Bundespräsident Thomas Klestil ("Wir müssen auch die Mitschuld vieler Östereicher an den Verbrechen des Naziregimes bekennen"), weitere politische Repräsentanten und die Spitzen der Glaubensgemeinschaften teilnahmen. Das Areal um die Synagoge war von einem Großaufgebot an Exekutivbeamten hermetisch abgeriegelt, auf den Hausdächern der angrenzenden Gebäude waren schwarz vermummte Scharfschützen postiert.
Deutliche Worte in dieser Feierstunde fand auch Alfred Stingl. Der Grazer Bürgermeister bat die jüdische Gemeinde "im Namen der Stadt und im Wissen um die Geschichte um Verzeihung". Klare Worte ebenso vom Präsidenten der Kultusgemeinde, Kurt Brühl, dessen Familie auch nach 1945 noch "Furchtbares erleben musste" (Muzicant): "Wir können das Unrecht nicht vergessen, aber wir danken Ihnen von aufrechtem Herzen, uns die Synagoge wieder zurückgegeben zu haben."
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 11. 2000)