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Die Schwestern Anna Lazar und Lisa Bernstein erlebten die von den Nazis so genannte Reichskristallnacht in Wien. Danach flüchteten sie, leben nun in Italien und den USA. Zu Besuch in Wien, sprachen sie mit Andreas Feiertag. "Mit ihren Bajonetten haben sie die Türen aufgebrochen, drinnen alles kurz und klein geschlagen", erinnert sich die Italienerin Anna Lazar an jene Wiener Nacht vor genau 62 Jahren: Synagogen und Bethäuser gingen in Flammen auf, Menschen wurden getötet, verletzt, nach Dachau deportiert, Tausende jüdische Geschäfte wurden gesperrt und verwüstet, Wohnungen zwangsgeräumt. Nicht jene im dritten Stock der Krummbaumgasse 1 in Wien Leopoldstadt. Vom Fenster aus beobachteten die damals 17-jährige Anna Schiff und ihre 14-jährige Schwester Lisa, wie die von ihren Vorfahren in der Schiffgasse erbaute Synagoge in Brand gesteckt wurde. "Sie haben die Gebetsrollen herausgerissen und mit den Büchern über die Straße verteilt und sind darauf herumgetanzt", schildert die Amerikanerin Lisa Bernstein. Sie hatten entsetzliche Angst. Die Nazis rechtfertigten das Pogrom als "spontane Antwort" der Bevölkerung auf den Tod eines deutschen Diplomaten. Dieser war zwei Tage zuvor, am 7. November 1938, in Paris von einem Juden niedergeschossen worden. Annas und Lisas Vater überlebte die so genannte Reichskristallnacht nicht. Wenig später wurden sie mit ihrer Mutter aus der Wohnung geworfen, "in die man die Milchfrau einquartiert hat", und wurden in der Wiener Pfarrgasse in ein Zimmer mit drei fremden Männern untergebracht. Und wurden informiert, dass sie in ein Arbeitslager kommen sollten. Anna hatte damals bereits von Konzentrationslagern gehört - nur weg aus Österreich. Ein Freund machte die Familie mit Josef Schleich (siehe unten) bekannt, der sie im Winter über die Berge nach Jugoslawien brachte. Von dort ging die Flucht weiter nach Italien, wo sie schließlich in einem Lager endete. Der Lagerkommandant beschützte die Familie. "Trotz des Faschismus haben wir in Italien Menschen mit Herz gefunden, in Österreich nicht so." Beide lernten auf der Flucht ihre Männer kennen, beide haben heute drei Kinder. Anna Lazar blieb in Rom, Lisa Bernstein ging in die USA. Nach Wien sind sie gekommen, um Sonntag um elf Uhr an der Matinee "Kristallnacht - Zeitzeugen berichten" im Wiener Volkstheater teilzunehmen. "Ich bin Amerikanerin", sagt Lisa Bernstein, "was ich mitgemacht habe, werde ich nie vergessen." Und Anna Lazar ist "Italienerin", die aber noch ihren österreichischen Pass hat. Mit einem großen aufgedruckten "J". (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 11. 2000) Von