Wien - Einen Regenbogen nennen die Niederländer einen "Lunapark in der Hölle". Danach lächeln sie schweigend einander zu. Eine freundliche Verschwiegenheit, die den Pessimismus und die Hilflosigkeit der menschlichen Existenz in diesem traurig-schönen Luftbild eine Leichtigkeit des Seins aufmalt. In einer Stadt wie Amsterdam, in der die Vorhänge zu den Wohnzimmern beiseite geschoben sind und man spätnachts noch ausmachen kann, ob jemand gerade ein Buch aus dem Regal nimmt oder über seinen Bettvorleger stolpert, sieht man alles und nichts. Leben in einem Europa des Wohlstands und der wirtschaftlichen Prosperität ist von tiefliegenden Widersprüchen gekennzeichnet. Die unsichtbaren Auswirkungen von Kolonisierung und Dekolonisierung, von nur scheinbar gelebter großbürgerlicher Moral, von verdeckter Fremdenfeindlichkeit und nicht zuletzt der zunehmenden Amerikanisierung sind die großen Themen der niederländischen Gegenwartsliteratur. Ab Sonntag finden im Wiener Schauspielhaus die "Niederländischen Literaturtage" statt. Zu Gast sind zwölf Autoren, u. a. die hierzulande bekannten niederländischen Schriftsteller wie Harry Mulisch, Connie Palmen, Leon de Winter, Willem Jan Otten, sowie Vertreter der jüngeren Generation: Manon Uphoff, Esther Jansma, Erik Menkveld, Ronald Giphart, Joost Zwagerman. "Es gefällt mir zu ärgern und zu treten. Das war immer schon so, und ich versuche es auch in meinen Büchern zu machen." Dem 35-jährigen Erfolgsautor Ronald Giphart liegt das Dreschen von Sprüchen so schnell auf der Zunge, wie seiner patzigen Hauptfigur - dem halbstarken Girlie Phileine - in seinem ins Deutsche übersetzten Roman Der Volltreffer. Wirklich "getreten" wird im Volltreffer aber gegen die Verdummung einer TV-Gesellschaft, die sich ausgiebig im Winner- und Looser-Dasein übt. Literarisch keineswegs von so lautstark umgangssprachlichem Erzählton eines rasanten Schreibers wie Giphart, dafür meisterlich in gesellschaftskritischem Zynismus, sind zwei stilistisch komplett unterschiedliche Autoren wie Joost Zwagerman und der erst 27-jährige Arnon Grunberg zu nennen. Zwagerman spürt mit Romanen wie Falsches Licht und Die Nebenfrau der unheimlichen "Totheit" des libidinösen, menschenverachtenden Intellektuellen nach. Damit wehrt er sich gleichzeitig gegen die "oft langweiligen Inhalte moderner niederländischer Literatur einer selbstverliebten l'art-pour-l'art-Schreibe". Der in Amsterdam aufgewachsene, aus einer jüdischen Familie stammende Arnon Grunberg bezeichnet sich als tragikomischer Autor der "Generation Nix". Nach seinem fulminanten Debutroman Blauer Montag erkor man Grunberg zum "jüngsten Wunderkind" der niederländischen Literatur. Er lebt derzeit in New York als "Gebäudereiniger" und wäre "auch gern nach Wien eingeladen worden". Mit der heute 64-jährigen Lyrikerin Judith Herzberg, die sich als Kind in Holland vor den Nazis versteckt hielt, kommt eine jüngere Kollegin, die Poetin und Archäologien Judith Jansma nach Wien. Jansma schwört in ihrer Lyrik dem "barocken Tand" ab und versucht sich in neuer naturbeseelter Schlichtheit. Identitätssuche und Anverwandlung fremder Identitäten: "Ich sitze aufmerksam vor meinem Fernsehgerät und bin sozusagen in den verschiedensten Menschenschicksalen, die da gezeigt werden, anwesend. Ich stelle mir vor, jedes dieser Schicksale hätte auch meines sein können. Und dann verstehe ich den erbitterten Kampf des Individuums um Einzigartigkeit nicht mehr. Das macht uns alle ärmer, als wir sein müssten." Die in Utrecht geborene Schriftstellerin Manon Uphoff zählt mit ihrem derzeit einzigen ins Deutsche übersetzten Roman Schlafkind ihrerseits zu den erfolgreichsten niederländischen Gegenwartsautoren der jüngeren Generation. Uphoffs literarisches Charisma ist die Mischung aus Empfindsamkeit und Brutalität der Alltagssprache. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11./12. 11. 2000)