Aktuell wie damals und heutigen schnell ernannten Experten zur Lektüre empfohlen: ein Text von Ulrike Meinhof aus dem Jahr 1968, in Kürze auch auf einer Wiener Bühne zu hören.
Emanzipation war eine Forderung an Staat und Gesellschaft, Gleichberechtigung dagegen wird pauschal gegen die Männer erkämpft. Berufstätigkeit gibt dabei der Frau eine partielle Unabhängigkeit, erlaubt ihr auch, als selbstständiger Konsument aufzutreten. In einer Welt, in der der Wert des Menschen an seinem Einkommen gemessen wird, ist diese Konsumenten-Selbstständigkeit naturgemäß die höchste; mit Recht hält man von diesem Standpunkt aus die berufstätige Frau für emanzipiert. Indem sie den Arbeitskräftebedarf von Wirtschaft und Administration erfüllt und zugleich ihr Scherflein zur Zirkulation von Produktion und Verbrauch beiträgt, sich also systemkonform und angepasst verhält, verhält sie sich richtig. Kurzgeschlossen: Wenn Emanzipation ein Wert ist und Berufstätigkeit richtiges Verhalten, ist Berufstätigkeit Emanzipation. Aber die Frauen sitzen in der Klemme, in der Klemme zwischen Erwerbstätigkeit und Familie, genauer: Kindern - vorhandenen, zu erwartenden, gehabten. Haushalt bedeutet Isolierung; "über das Fleisch, das euch in der Küche fehlt, wird nicht in der Küche entschieden." (Brecht) Hausarbeit im Haus hat keinen Bezug mehr zu gesellschaftlichen Prozessen, hauptsächlich wird sie durch die Herstellung der Artikel des täglichen Bedarfs in der Industrie von Frauen erledigt. So ist die Unvereinbarkeit von Hausarbeit und Kinderbetreuung entstanden. Auf die Erwerbstätigkeit der Frauen kann beim gegenwärtigen Stand der Industriealisierung nicht mehr verzichtet werden. Was dabei mit den Kindern geschehen soll, ist ein noch ganz und gar ungelöstes Problem. Dabei kann überhaupt nicht ehrlich darüber diskutiert werden, ob außerhäusliche Erwerbstätigkeit und Kleinkinderbetreuung vereinbar sind - sie sind es nicht. Selbst Omas und nette Nachbarinnen sind nur ein unzulänglicher Ersatz für die Mutter als ausschließliche Bezugsperson. Das ist in zahllosen Untersuchungen und Veröffentlichungen nachgewiesen worden, müßig, darüber noch zu streiten. Gewiss ist eins: die durch die veränderte Stellung der Frau entstandenen Probleme hinsichtlich der Familie und den Kindern können nicht von den Frauen allein gelöst werden, dafür muss die Öffentlichkeit, die Gesellschaft einstehen. Noch tut sie es nicht. Laut Frauenbericht müsste allein der Bestand an Kindergärten um wenigstens ein Drittel erhöht werden - eine Zahl, die vermutlich nur auf die Spitze des Eisberges, des Bedarfs, Bezug nimmt, während die unzähligen Notlösungen der Mütter nicht als Bedarf rechnen. Statt den Frauen bei der Lösung des Problems zu helfen, kritisiert man sie seit über hundert Jahren. "Mütterarbeit" ist das Stich- und Schimpfwort. Ihr eigenes Versagen hat die Gesellschaft mit dem Angriff auf die Mütter kompensiert, den Anspruch so gar nicht erst anerkannt, ihn an die Mütter zurückgegeben. Wie aber soll eine Arbeiterin um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen kämpfen, wenn sie ihre Berufstätigkeit für eine Verfehlung ihrer wahren Bestimmung halten muss und sie außerdem für vorübergehend hält, sich von eventuellen Verbesserungen also für sich selbst nichts versprechen kann? Wenn zur Demütigung durch schlechtere Löhne noch die Verdächtigung hinzu kommen, sie verhielte sich falsch? Sie sitzt in der Klemme. Im Haus, wo sie hingehört, kann sie nicht kämpfen, im Betrieb, wo sie kämpfen müsste, ist sie fehl am Platz. Im Haus sind die Kinder oder kommen, im Betrieb ist die Arbeit. Was anderes soll sie tun, als sich abrackern? "Nachdenken, woher sie kommen und wohin sie gehen, sind sie an den schönen Abenden zu erschöpft." (Brecht) Die studierten, besser gestellten Frauen sind von dieser Problematik betroffen und auch nicht. Obwohl sie sozial weiter oben sind, gerieten sie in das Schussfeld der Attacken gegen Mütterarbeit, in die Ideologisierung der Mutterrolle, die Mädchenerziehung zu Hausfrau und Mutter. Das kulminiert, wenn sie Kinder kriegen. Mutterschaft kennt keine sozialen Unterschiede. Bei der neuen Rollenfindung ist die gebildete Frau auf die gleichen Mittel angewiesen wie die Arbeiterin, setzt sich - wie diese - dem Verdacht aus, in der Mutterschaft nicht aufgehen zu wollen, gerät psychologisch unter den gleichen Druck, oft auch in die praktisch gleichen Schwierigkeiten, mangels Kindergärten und Haushilfen. Sie gerät in die Klemme, wenn auch nur vorübergehend, da ihr in der Regel mehr Mittel zur Verfügung stehen, die Probleme zu lösen. Ihre Universitätsausbildung gibt ihr nicht die Möglichkeit, ihre Lage als Teil einer größeren Auseinandersetzung zu begreifen, die mit ihr persönlich nur bedingt zu tun hat. Ihre Phantasie, Ihr Einfühlungsvermögen und ihre Erfahrungen reichen selten aus, sich in die Lage ihrer arbeitenden Geschlechtsgenossinnen in Industrie und Handel vorzustellen, ihre Moral und ihr gesellschaftspolitisches Wissen nicht, sich mit ihnen zu solidarisieren. Der Protest ist fällig. Er findet nicht statt. Auszug aus einem Beitrag, der in "Emanzipation und Ehe" erschienen ist (Hg. Christa Rotzoll, München 1968).
    Unter dem Titel Die Würde des Menschen ist antastbar findet am Montag, dem 13. November, ein Abend über Ulrike Meinhof statt. Der obige und andere Texte werden vorgetragen. Ab 20 Uhr 30 im Kosmos Frauen Raum, 1070 Wien, Siebensterngasse 42.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11./12.11.2000)