Geschlechterpolitik
1964: Agnes Wagenhofer
Treppenwitz des Kalten Krieges
In ihrer Ausreisegenehmigung stand "Touristin", aber in Wahrheit wollte Agnes Wagenhofer studieren, als sie 1964, mit 19 Jahren, nach Österreich kam. In Ungarn hatte sie die Aufnahmeprüfung an die Uni zweimal nicht bestanden: mangels politischer Zuverlässigkeit.
"Die Haft meines Vaters war ein Makel", sagt sie: Der Vater war 1950 einer von 30 Angeklagten im "Ersten Wirtschaftsprozess gegen Kapitalisten" gewesen. Er hatte bis zur Durchsetzung der Kommunisten eine Fabrik mit nur fünf Mitarbeitern besessen, die die ersten Nylonstrümpfe in Ungarn herstellte. In den Schauprozess geriet er, weil er von der Firma retten wollte, was zu retten war, um zu emigrieren. Eineinhalb Jahre blieb er eingesperrt.
Das Deutsch-Englisch-Dolmetschstudium in Wien erwies sich als schwer, die finanzielle Situation als noch schwerer. Sie ließ das Studium einschlafen und begann zu arbeiten.
1967 verlängerte die ungarische Botschaft ihren Pass nicht mehr. Sie suchte um Asyl an, mithilfe eines Rechtsanwalts mit Beziehungen zur Fremdenpolizei - und mit Erfolg. Der Anwalt, ein gewisser Dr. Winter, galt als teuer: "Aber von mir hat er nichts verlangt. Er hat gesagt: Es gibt eine göttliche Buchhaltung - ein Reicherer wird das für Sie bezahlen."
Wagenhofer arbeitete als kaufmännische Angestellte, meist für amerikanische Firmen wie etwa die Nachrichtenagentur UPI. Dort fiel sie der ungarischen Botschaft auf, die mit ihr ins Geschäft kommen wollte: Sie dürfe einreisen und ihre kranke Mutter besuchen, wenn sie Kopien der Telexe aus der Nachrichtenagentur herausgebe. "Ein Treppenwitz des Kalten Krieges", kann Wagenhofer heute lachen: "Die ungarische Agentur MTI war Abonnentin von UPI, die haben ohnehin alles sofort bekommen."
Jahrelang ließ der ungarische Konsul nichts unversucht, um sie als Spionin anzuwerben; vergebens. So durfte sie 13 Jahre nicht nach Ungarn fahren, länger als alle (damals längst amnestierten) Flüchtlinge von 1956.
Nach dem Fall des Kommunismus war sie bei einer großen Bank für das Ungarngeschäft zuständig. Sie kündigte, um sich als Selbstständige "einen uralten Traum zu verwirklichen". Seit 1998 hat sie ihre eigene kleine Kanzlei als Hausverwalterin.
Für Flüchtlinge hat sie sich eine "Antenne" bewahrt: Einer Familie von Kosovo-Albanern stellte sie für ein Jahr unentgeltlich eine Wohnung zur Verfügung: "Die Erbschaft des Dr. Winter", sagt sie, "die göttliche Buchhaltung habe ich mir zu Eigen gemacht."
(Robert Schlesinger)
(D
ER
S
TANDARD
, Print-Ausgabe, 13.11. 2000)