München - Spätestens seit dem Calvinismus haben sich Arbeit und Genuss ausgeschlossen. Das sei auch der Grund, warum soziale Interaktion am Arbeitsplatz als "Schwatzen" abgetan werde und kollegiale Teamfreudigkeit als "mangelnder Ehrgeiz" interpretiert werden, meint Peter Nieschmidt, Politologe an der Fachhochschule München. Calvin habe den Menschen als korrupte Natur gesehen, der nur durch Fleiß und Askese zu disziplinieren sei. Dadurch gehe auch heute noch jeglicher Spaß an der Arbeit verloren, so Nieschmidt. Das sei ein großes Problem, so der Professor, da der Mensch neben Luft und Brot eigentlich nur einen anderen Zweck verfolge, nämlich Selbstverwirklichung. "Wenn ein Chef seinem Mitarbeiter dieses Recht verweigert, wird sich der Entfaltungsraum eben erst nach Dienstschluss auftun." Das fördere aber nicht die Leistung. Ein guter Chef müsse daher alles tun, dass sich die Mitarbeiter in Szene setzen können. Loyalität erst durch Teilhabe im Unternehmen In Zeiten wie diesen gebe es von Haus aus keine Loyalität zum Unternehmen. Diese stelle sich erst dann ein, wenn ein kluges Führungsteam die Mitarbeiter am Unternehmen teilhaben lasse. "Dann sprechen auch die Angestellten von einem kollegialen Wir", meint Nieschmidt. Kritisch betrachtet Nieschmidt auch die Definition von Fleiß in unserer Gesellschaft: Messbarkeit statt Inhalt. Damit falle jede Ehefrau, die zwei Kinder aufgezogen habe, in der Berechnung des Bruttosozialprodukts nicht mehr auf. Der Mensch könne sich dadurch im Arbeitsprozess nicht entfalten. "Das passiert leider auch heute noch viel zu oft", so Nieschmidt. "Arbeit ist heute in erster Linie Interaktion. Das müssen wir aber erst lernen". Soziale Intelligenz müsse vom Babyalter an erlernt werden. Dazu zähle auch, die Welt mit den Augen des anderen sehen zu lernen. Das verlange Einfühlungsvermögen, Phantasie und Toleranz als Vorbedingung zur Menschenführung. "Es gibt aber genug Chefs, die diese Eigenschaften nicht besitzen", so Nieschmidt. Zentrale Aufgabe künftiger Führungskräfte sei es, den Prozess sozialer Integration der Mitarbeiter zu fördern und eine Verbindung zu schaffen zwischen dem Leben, dem Erlebten und der Arbeitswelt. Ein moderner Vorgesetzter investiert mindestens ein Drittel seiner Arbeit in diese Soft-Factors. Nieschmidt: "Lernen Sie Ihre Mitarbeiter kennen, bewerten Sie die Temperamente und setzen Sie diese Leute dann richtig ein". Diese Slogans verwendet der Experte bei all seinen Vorträgen in großen Unternehmen. "Das wichtigste Produktivvermögen eines Unternehmens wartet in den Köpfen und Gemütern qualifizierbarer Mitarbeiter auf seine Entdeckung und Entwicklung". Die Befähigung der Mitarbeiter, ihre soziale Wirklichkeit zu gestalten, Zeit für sie zu nehmen und nicht auf einem abgehobenen Olymp zu thronen, sondern im Kreise der Belegschaft zu arbeiten, sei die Königsaufgabe der modernen Geschäftsführung, sagt der Politikwissenschaftler. (pte)