Wien - Die Gefühle sind oft größer, als der Rahmen erlaubt. Da wird zum Beispiel erst einmal ritualhaft heftig gestikuliert und rumgebrüllt, knapp nach Sonnenfinsternis, irgendwo auf einer staubigen bulgarischen Landstraße. Falsche Fährte: Die Geschichte, die hier mit handfestem Männer-Aktionismus und einer Leiche im Kofferraum beginnt, ist zu diesem Zeitpunkt nämlich schon ein paar Tage alt und eigentlich eine Liebesgeschichte. Der schüchterne Hamburger Junglehrer namens Daniel (Moritz Bleibtreu) ist der heimliche Schwarm von Juli (Christiane Paul), die auf der Straße Schmuck verkauft und ihm erfolgreich einredet, dass sein neuer Ring mit dem Sonnenzeichen ihm den Weg weisen wird zur Liebe seines Lebens. Damit hat Juli natürlich sich selbst gemeint. Aber die beiden verfehlen sich erst einmal gründlich. Daniel fasst sich nämlich ein Herz und beschließt, der schönen Melek (Idil Üner) hinterherzufahren. Auf ihrem T-Shirt prangt unübersehbar eine leuchtende Sonne, und Melek, so viel ist sicher, wird in ein paar Tagen mittags in Istanbul unter der Bosporus-brücke anzutreffen sein. Im Juli ist der zweite Spielfilm von Fatih Akin. Sein erster, Kurz und schmerzlos (1998), war eine ruppige, dunkle Männer-Freundschafts-Geschichte, angelehnt an Martin Scorseses Mean Streets , die mitunter in ihren allzu groß angelegten Posen fast entgleiste. Schon damals und in diesem Umfeld gelangen dem Regisseur und seinen Hauptdarstellerinnen Idil Üner - die jetzt als Melek auftritt und zuvor auch schon in Thomas Arslans hierzulande leider übersehenem Dealer mitwirkte - und Regula Grauwiller allerdings erstaunlich profilierte Frauenrollen. Und auch Im Juli räumt seinen Heldinnen, trotz zeitweiliger, esoterischer Abgehobenheit und romantischer Verklärung in Kitsch-Sequenzen, eine Zielstrebigkeit und Gelassenheit ein, die sich die Männer jeweils erst noch erarbeiten müssen. Christiane Paul, die in knapp zehn Jahren rund 20 Filme gedreht hat und dabei zwischen TV-Produktionen und Mainstream-Kino immer wieder sehr stimmige Auftritte in "unabhängigen" Filmen abliefert ( Ex , Das Leben ist eine Baustelle ), erweist sich dabei einmal mehr als eine der interessanteren deutschen Nachwuchs-Akteurinnen. Juli, die eigentlich schon andere Pläne hatte, trifft Daniel jedenfalls bereits an der ersten Autobahnausfahrt in Hamburg wieder. Im Verlauf der Reise, die quer durch Österreich, Ungarn, Rumänien und Bulgarien in die Türkei führt, verlieren und finden die beiden einander fortwährend. Der brave Lehrer gewinnt mit dem Fortgang der Erzählung an Selbstbewusstsein. Am Ende kommt er dann doch noch dort an, wo Juli Im Juli schon immer war. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 11. 2000)