Berlin - Die öffentliche Vorstellung neuer Texte auf einem Festival folgt meist dem sportlichen Gesetz des Wettbewerbs: Es wird fröhlich prämiert. Am Ende gibt es dann einen so genannten Sieger samt Auszeichnung. Und viele Verlierer. Ganz ohne solche literaturwidrigen Eliminationsspiele - und folglich mit deutlich reduzierter medialer Aufmerksamkeit - organisierte die Berliner Schaubühne in der vergangenen Woche ihr erstes "Festival Neuer Internationaler Dramatik". Szenische Lesungen, Gespräche mit den anwesenden Autoren und geladene Gastspiele boten einen Einblick in die allerjüngste Dramenproduktion. Dem Festival zugrunde liegt die mehrjährige Zusammenarbeit des neuen Schaubühnen-Teams mit dem Royal Court Theatre in London, dem Théâtre National de la Colline in Paris und dem Teatro della Limonaia in Florenz. Die vier Theater intensivierten ihre Kontakte mittlerweile durch den offiziellen Zusammenschluss im N.E.W. Theatre Network, einem Netzwerk, zu dessen Zielen explizit die Förderung junger Gegenwartsdramatik zählt. Allerlei Genüsse Bis in den frühen Morgen hinein konnten an vier Tagen die anwesenden Zuhörer - zu einem großen Teil Dramaturgen, Autoren, Schauspieler - neun teilweise noch im Bearbeitungsstadium befindliche Texte kennen lernen. - Und einander, denn tagelang teilte man sich neben den durchgehend ausverkauften Sitzplätzen auch die wenigen Tische des Schaubühnen-Foyers und die spärliche Verpflegung vom hauseigenen Buffet. (Nebenbei: auch Konstanze Schäfer, die Pressechefin vom Burgtheater, konnte gesichtet werden. Was den hoffnungsvollen Gedanken zumindest gestattet, dass die verhängnisvoll hohe Prozentzahl toter alter Herren unter den Hausdichtern der Bachler-Bühne einstmals doch reduziert werden könnte ...) Wollte man den Gesamteindruck der vorgestellten Texte resümieren, so scheint ein vorsichtiger Optimismus die düstere Phase der vergangenen Jahre abzulösen. Weiterhin stehen jugendliche Randfiguren der Gesellschaft im Zentrum der Dramen, erstmals jedoch blitzen Ansätze zu Hoffnung auf. US-Träume Besonders augenscheinlich zeigt sich diese Tendenz in dem brillanten Text Fluchtpunkt der jungen Amerikanerin Jessica Goldberg. Goldbergs Stück lebt von der Umkehrung eines generellen Topos des Erwachsenwerdens: Nicht die Kinder sind es, die in Fluchtpunkt aus einem unerfreulichen Familienumfeld flüchten, die Eltern ließen ihren Nachwuchs, zwei Töchter, einen Sohn, zurück. Die Bewältigung eines Alltags unter reichlich erschwerten Bedingungen wendet Goldberg zu einem sehr amerikanischen, erschütternd komischen, von knappen Dialogen und psychologisch präzise konstruierten Charakteren gestalteten Drama über den anderen amerikanischen Traum: Ein richtiges Leben im falschen, es muss möglich sein, wo eine Änderung der herrschenden Verhältnisse zunehmend unwahrscheinlich scheint, so Jessica Goldbergs entschiedene und diskutierenswerte Antwort auf die Gegenwart. Goldbergs Text, der bereits mehrere Preise gewann und dessen Verfilmung in einer Independent-Produktion in den USA bereits geplant ist, wird in den kommenden Jahren ebenso sicher auf den Spielplänen zu finden sein wie Supermarkt , der neueste Text der jugoslawischen Dramatikerin Biljana Srbljanovic. Ein Auftragswerk der Wiener Festwochen, wird Supermarkt im kommenden Sommer in Wien in der Inszenierung Thomas Ostermeiers uraufgeführt werden. Srbljanovic' Satire schickt einen Emigranten aus Osteuropa in die Zeitschleife: just in dem Moment, als er hofft, durch sein dramatisches (und übrigens von ihm erfundenes) Dissidentenschicksal zum Helden der Medien zu mutieren. Bis ihm klar wird, dass es ein Leben gibt jenseits des Ruhms, jagen ihn seine Mitmenschen durch den in der Wiederholung diabolischen Alltags-Parcours. Zeitschleifen Und ebenfalls in Wien wünscht man sich zwei Texte, deren Aufführung ohne die darstellerisch begnadeten Autoren undenkbar scheint: Des Sibiren Jewgenij Grischkowez' biografischer Erlebnisbericht aus Matrosenzeiten Wie ich einen Hund gegessen habe verlangt ebenso nach häufigster Wiederholung wie des Iren Enda Walsh'( Disco Pigs ) ganzkörper-erigierte Extrem-Vorstellung von Bedbound , einem Text, dessen Inhalt aufgrund von Verständnisschwierigkeiten dem deutschsprachigen Zuhörer nicht erkennbar war, was dem profunden Vergnügen an der mitternächtlichen Darbietung kaum Abbruch tat. Festwochen, bitte melden! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 11. 2000)