Panorama
Tunnelsicherheit
Die Kritik an den Sicherheitsstandards in heimischen Eisenbahntunnels nimmt zu - Die meisten Stollen sind einröhrig geführt, viele bieten unzureichende Fluchtmöglichkeiten
Wien/Graz - Täglich preschen 6000 Züge mit 53.000
Passagieren über Österreichs
Schienennetz. Und nicht erst
seit der Seilbahn-Katastrophe
von Kaprun fährt bei vielen
die Angst vor Tunnels mit. Am
Kitzsteinhorn war es der so
genannte Kamineffekt der das
Ausmaß der Katastrophe mitbestimmte.
In den zwanzig österreichischen Eisenbahntunnels, die
länger als tausend Meter sind,
(alle sind einröhrig und bis auf
den 4,7 Kilometer langen Bosrucktunnel zweigleisig), gibt
es bislang keine Entlüftungsanlagen für den Brandfall. "Es
gibt nur die zwei Portale und
die natürliche Luftströmung", warnt der steirische Landesfeuerwehrinspektor, Gerald
Kubiza. Künftig sollen aber
beispielsweise im Eisenbahn-Tauerntunnel (8,5 Kilometer),
in den die ÖBB 180 Sicherheits-Millionen investieren
will, mobile Ventilatoren eingesetzt werden.
Bei den geplanten österreichischen Tunnelneubauten schreien die Experten auf.
Sie würden durch die Bank,
wie der knapp 13 Kilometer
lange Lainzer Tunnel in Wien,
als Einzelröhren geplant ein
Sicherheitsrisiko darstellen.
Der Lainzer Tunnel in Wien
hat keinen eigenen Rettungsstollen. Die Rettungsschächte
sind alle 600 Meter eingeplant, doch: "Gerade hier ist
eine Kaminwirkung möglich,
die unter Umständen den
Fluchtweg unbrauchbar
macht", warnt etwa Arturo
Schatzmann, Ingenieur der
Taiwan High Speed Corporation. Auch der geplante 22
Kilometer lange Semmering Basistunnel wird kritisiert:
"Da stammt das Sicherheitskonzept ja noch aus dem Jahre
Schnee", meint Tunnelexperte Franz Fally.
Für ihn ist auch der steirische 5,1 Kilometer lange Galgenbergtunnel, seit 1998 in
Betrieb, sinnbildlich für künftige Bauten. "Der hat zwei
Milliarden Schilling gekostet,
bringt zwei Minuten Zeitersparnis und ist ein Sicherheitsrisiko." Keine Fluchtwege, kein Rettungsstollen. Dafür eine Zwanzig-Millionen-Schilling-Aufrüstung der örtlichen Feuerwehr durch die ÖBB. Deren Sprecher Christoph Posch weist alle Vorwürfe zurück: "Wir haben die Sicherheitsauflagen der Behörden und der Feuerwehr erfüllt. An jedem Portal stehen
Löschfahrzeuge bereit."
In der Obersten Eisenbahnbehörde des Infrastrukturministeriums verschallen die
Rufe der Kritiker. "Wir segnen ja alle Neubau-Genehmigungen nur mit der Zustimmung
der Feuerwehr ab", rechtfertigt sich Behörden-Leiter Karl-Johann Hartig. Und verweist
auf die Sicherheitslinie des
Bundesfeuerwehr-Verbandes
aus dem Jahre 1999 für neue
Bauten. Darin sind beispielsweise alle 500 Meter Fluchtwege, beziehungsweise Kavernen vorgesehen. Die Behörde wurde bereits 1997 vom
Rechnungshof kritisiert.
Interessenkonflikt
"Da hat es naturgemäß immer wieder Diskrepanzen mit
der Behörde gegeben. Sie vertritt ja auch die Interessen des
Financiers, also des Staates",
sagt Kubiza. Für ihn ist trotz
aller Maßnahmen eine 100-prozentige Tunnelsicherheit
nicht möglich: "Ein Großbrandereignis kann nie ausgeschlossen werden."
Im Bereich der einröhrigen
Straßentunnel ist seit dem
verheerenden Tauerntunnel-Brand im Mai des Vorjahres
ein schwaches Aufrüsten im
Gang. So wird etwa im Plabutschtunnel bei Graz eine
zweite Röhre gebaut. Aber
viele, wie der 5,3 Kilometer
lange Felbertauerntunnel
zwischen dem Salzburger
Pinzgau und Osttirol stellen
nach wie vor ein großes Sicherheitsrisiko dar. Dort brauche laut Tirols Landeshauptmann Wendelin Weingartner
die Feuerwehr im Ernstfall eine halbe Stunde, ehe sie das
Tunnelportal erreicht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.11.2000)