Neun Monate nach ihrem Antritt ist die schwarz-blaue Regierung die Antwort auf eine wirtschaftspolitische Gretchenfrage schuldig geblieben: Wie hält sie es mit der Verstaatlichten? Einerseits ist die Koalition mit einem konsequenten Privatisierungsprogramm angetreten, das ein halbes Jahrhundert staatlichen Eigentums in der Wirtschaft beenden sollte. Andererseits ließen sich auch die Verfechter eines Neoliberalismus wie Grasser und Prinzhorn davon überzeugen, dass ein kleines Land wie Österreich auf "nationale Interessen" achten und vor allem den Ausverkauf der industriellen Flaggschiffe ans Ausland verhindern sollte. Schließlich wurde die Privatisierung zum Instrument für den Schuldenabbau erklärt, was den beiden widersprüchlichen strategischen Grundanliegen eine weitere finanzielle Zielrichtung hinzufügte. Um dieses Kuddelmuddel an Interessen und Absichten unter einen Hut zu bringen, wurde rasch ein neuer Aufsichtsrat in der ÖIAG eingesetzt, der trotz einer unübersehbaren schwarz-blauen Färbung sicherlich mehr Managementkompetenz vorweisen kann als der alte. Die Vertreter der "ÖIAG neu" entschieden dann, mit dem alten Vorstand weiterzuarbeiten, der nur wenige Monate zuvor von der früheren Regierung eingesetzt worden war. Nach anfänglichem etwas unbedarftem Aufmucken - etwa gegen die Privatisierung der Austria Tabak - wurden die rot-schwarzen Exminister Rudolf Streicher und Johannes Ditz loyale Vollstrecker der neuen Regierungslinie: Gegen jede Kapitalmarktvernunft verfolgte Ditz konsequent die überhastete Privatisierung der Telekom Austria, während Streicher die große österreichische Luftfahrtlösung zimmerte. Noch ist es etwas zu früh, ein Urteil über Ditz zu fällen. Die P.S.K.-Privatisierung hat dank der Großzügigkeit der mitbietenden Deutschen mehr Geld gebracht als erwartet. Für das schlechte Timing der Telekom-Emission kann Ditz wenig, für die peinlichen Konzessionen an den Mitaktionär Telecom Italia, die er bis zuletzt abgestritten hat, hingegen viel. Bei Streicher ist die Entscheidung leichter: Für den Palawatsch in der österreichischen Luftfahrt trägt der dreifache Aufsichtsratschef die Hauptverantwortung. Die ganze haarsträubende Aktionärskonstellation zwischen AUA, Lauda Air und Lufthansa, die den absurden Krieg der Manager erst möglich macht, ist unter seiner Führung entstanden. Und als Streicher im letzten AUA-Aufsichtsrat den Tyrolean-Chef Fritz Feitl als Lösung aus dem Hut zauberte, verweigerten ihm nicht nur die Betriebsräte, sondern auch die anderen Kapitalvertreter die Gefolgschaft - eine Blamage, die der Hobbydirigent wohl nur deshalb aussitzen zu können glaubt, weil er das aus der österreichischen Politik gewohnt ist. Dennoch wäre es falsch, die Probleme der ÖIAG allein den Fehlern ihrer Vorstände in die Schuhe zu schieben. Schließlich ist es die Regierung, die nicht verstehen oder nicht zugeben will, dass Politik immer mitspielt, wenn der Staat Eigentümer ist. Entpolitisierte Verstaatlichten-Politik gibt es genauso oft wie jungfräulichen Sex. Nun mag der Einfluss der Politik noch vertretbar sein, wenn wirklich nationale Interessen auf dem Spiel stehen. Doch gerade in der Luftfahrt zeigt sich, wie wenig Sinn dieses Schlagwort heute noch macht. Es kann doch nicht im österreichischen Interesse sein, wenn die heimischen Fluglinien Geld verlieren, die Aktien in den Keller fallen und die Preise auf vielen Strecken dennoch steigen. Die Suche nach einer nationalen Luftfahrtlösung treibt die AUA geradewegs in die Arme der Lufthansa. Die Übernahme durch den großen deutschen Bruder könnte mittelfristig die beste Lösung sein - besser jedenfalls als die ÖIAG als Kernaktionär.

Die Bocksprünge der ÖIAG bestätigen letztlich, dass die ursprüngliche Position der Koalition richtig war: Der Staat ist als Unternehmer nicht geeignet. Nun muss nur noch ein Weg gefunden werden, diese auch umzusetzen. (DER STANDARD, Printausgabe 18.11.2000