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Eine Katastrophe ist eine Katastrophe. Als solche ist sie nicht Gegenstand von Kommentaren. Aber eine Katastrophe erfährt auch einen gesellschaftlichen Umgang - und da kann sie plötzlich eine politische Dimension erhalten. Der Umgang mit Kaprun hat solch einen politischen Überschuss produziert, einen Mehrwert, und wie in der Ökonomie, so ist es auch in der Politik: Mehrwert bedeutet Profit - in diesem Fall für die Regierung. Worin dieser besteht, hat Herbert Hrachovec kürzlich deutlich gemacht (STANDARD, 14. November 2000): Die Katastrophe wurde zur "Herstellung nationaler Identität" verwendet. Überwundene Distanz Welche neue Qualität diese Identität hat, wird an den unterschiedlichen Reaktionen deutlich. Hat sich die politische Führung bei früheren Katastrophen - etwa in Lassing oder in Galtür - als "Repräsentant der geschockten Bevölkerung" verhalten (Hrachovec), so wird diese Distanz nun mühelos überwunden. Heute haben wir einen unmittelbaren Zusammenschluss, denn heute haben wir eine Regierungsfamilie. Diese hält auch zu ihrem Volk keinen repräsentativen Abstand. Zumindest emotional sollen sich alle, hier und jetzt, zu der einen großen Familie, der Volksfamilie, zusammenschließen. Dieses emotionale Zusammenfinden musste sich bislang auf Grenzwanderungen, Zoobesuche und Heurigenabende beschränken. Nun aber, angesichts der Katastrophe, kann das Zusammenstehen über die harmlosen, netten Familienausflüge hinausgehen und seine wahre Dimension entfalten: Erst das "gemeinsame" Leid schweißt die Familie richtig zusammen, erst hier wächst zusammen, was zusammengehört. Bei so viel Emotionen will man aber nicht alleine bleiben, da sollen die anderen, alle anderen, auch teilhaben dürfen. Deswegen besteht ein nicht zu vernachlässigender Arbeitsaufwand dieser Regierung darin, ihre Gefühle ZiB-gerecht ins Bild zu setzen. Und so hat die Reihe der bisherigen Inszenierungen einen neuen Höhepunkt erhalten. Was ist Riess-Passer mit einer Schlange um den Hals, verglichen mit dem Bild des trauernden Ministerrats, dem Bild der (schwer) getragenen Mienen in einer langen Schweigeminute zu Ehren der Opfer von Kaprun - einer Schweigeminute, bei der man sich gerne auch noch filmen lässt? Schuss nach hinten Die Bilder der zur Schau gestellten Trauer sind jedoch ein Schuss nach hinten. Sie sind peinlich in der unrechtmäßigen Aneignung fremden Leids. Und sie wirken lächerlich, weil keine gesellschaftliche Form dafür zur Verfügung steht. Die Antike hatte für solche Fälle eine eigene Institution, die so genannten "Klageweiber". Diese haben den Einzelnen entlastet, indem sie die Trauerarbeit übernommen haben und seinen privaten Gefühlen eine öffentliche Stimme bereitgestellt haben. Die "Klageweiber" des Kabinetts Schüssel funktionieren jedoch genau umgekehrt: Sie stabilisieren nur sich selbst, indem sie öffentlich "trauern" - sie machen eine öffentliche Instanz zu einer privaten Institution. Kein Wunder, dass sie da um einen angemessenen Ausdruck ringen. Als wäre das der Familie nicht genug, wird diese durch den Beitritt der neuen Infrastrukturministerin gleich in zweifacher Hinsicht erweitert: Nicht nur kommt ein neues Mitglied hinzu, dieses bringt auch seine wirkliche Familie gleich mit. Mama und Papa dürfen nicht nur zur Angelobung mit, sie dürfen auch gleich mit ins Bild - mitsamt ihrer ganzen großen Rührung. Es ist wie bei einer Hochzeit: Die Eltern übergeben die Braut ihrer neuen Bestimmung. Ab nun wird sich die Tochter ganz ihrer neuen Aufgabe widmen - der Gründung einer eigenen Familie. Und ganz Österreich darf daran teilhaben. Hier wird nicht nur emotionalisiert, hier wird auch privatisiert - die Politik nämlich. Solch eine "Politik der Gefühle" (Herbert Hrachovec) entspricht der neuen Distanzlosigkeit: Der Abstand zwischen Amtsträger und Person wird eingezogen. Diese inszenierte "Privatheit" ist eine Boulevardisierung der Politik und löscht jede politische Dimension aus. Auslöschung Zu dieser Auslöschung gehört es übrigens auch dazu, dass vor allem seitens der FPÖ immer mehr Leute in politische Positionen kommen, die keine Politiker sind. Die Ursache dafür sind nicht nur dürftige personelle Ressourcen, dahinter steht auch ein Konzept. Mangelnde Politikerqualifikation soll durch (tatsächliche oder vorgebliche) sachliche Kompetenz ersetzt werden. Aber die Berufung auf ein scheinbar unideologisches und unhinterfragbares fachliches Wissen - die auch bei der Bestellung der neuen Tochter wieder bemüht werden musste - verdeckt, dass die Ausübung der Macht ganz anderer Kriterien bedarf. Wenn die Qualifikation des Politikers auf seine sachliche Kompetenz beschränkt wird, dann funktioniert diese Reduktion wie die Privatisierung der Amtsträger: Sie streicht die eigentliche Dimension des Politischen durch. PS: Wie im richtigen Leben, so zeigt sich auch in der Politik der wahre Charakter einer Familie an ihrem schwarzen Schaf. Wenn Walter Meischberger über Peter Westenthaler sagt: "Man möchte es nicht glauben: Aber der ist wirklich so, wie er ausschaut", wird deutlich: eine schrecklich nette Familie.