Wien - Als eine "Heuchelei im höchsten Maße" hat der Philosoph Rudolf Burger die Kritik an der Aussage von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bezeichnet, dass der souveräne österreichische Staat das erste Opfer des Naziregimes gewesen sei. "Am 12. März sind deutsche Truppen in Österreich einmarschiert. Österreich war der erste souveräne Staat, der von Deutschland militärisch eingenommen wurde. Punkt. Das abzuleugnen ist die Umkehrung der Geschichtslüge", unterstrich der frühere Rektor der Universität für angewandte Kunst in Wien in einem Interview für das am Montag erschienene Nachrichtenmagazin "Format". Moralische Sekundärerregung Der "Jerusalem Post" habe Schüssel "im zweiten Satz gesagt, es ändert nichts an der moralischen Verantwortung, weil eben sehr, sehr viele Österreicher Nazis waren", betonte Burger. Ihn störe "die Verlogenheit meiner Freunde in der Sozialdemokratie, die jetzt aufschreien und empört sind. Dabei wird nicht darauf aufmerksam gemacht, dass es führende Sozialdemokraten waren, die noch nach dem 'Anschluss' diesen begrüßt haben: Es war Otto Bauer, der in seinem politischen Testament den 'Anschluss' begrüßt hat. Karl Renner hat freudig mit 'Ja' gestimmt". Hier werde eine "moralische Sekundärerregung" hergestellt. Der politische Diskurs in Österreich habe sich in eine "heuchlerische Phrasendreschmaschine" verwandelt. Schüssels Aussage historisch richtig Als "eine der widerwärtigsten Formen des Umgangs mit Geschichte" nennt es Rudolf Burger, dass "große Teile der Kulturszene und auch der Politik sich auf ein moralisches Podest stellen und mehr als fünfzig Jahre nach der Niederschlagung des Deutschen Reiches den Widerstand gegen das Naziregime nachholen". Schüssels Aussage sei "historisch richtig", was jeder Historiker bestätigen werde. Donenrstagsdemos sind Austropop Heftige Kritik übte Burger an "einer vollkommen hilflosen Opposition und einer äußerst verlogenen und moralisierenden Szene". Er habe nach der Bildung der schwarz-blauen Regierung gedacht, dass die Erregung darüber zu einer Politisierung führen würde; "da habe ich mich sehr geirrt. Tatsächlich hat eine Hysterisierungswelle stattgefunden, die eine Entpolitisierung hervorgebracht hat. Ich merke das etwa an der Uni. Wegen der Studiengebühren gab es ein Riesengeschrei. Das ist nur Pop-art. Da ist keine Kraft, keine Überlegung dahinter. Die Donnerstagsdemos sind Austropop." Von der Opposition sei derzeit gar nichts zu erwarten. Wenn sie so weitermache, sei mit "acht Jahren Schwarz-Blau" zu rechnen. (APA)