Venedig - Erstmals haben Wissenschafter in Italien das so genannte Venedig-Syndrom erforscht, wie die Häufung von Selbstmorden ausländischer Touristen in der Lagunenstadt genannt wird. Demnach wählen viele die Stadt im Meer ganz bewusst als Ziel ihrer letzten Reise, berichtete die italienische Zeitung "La Repubblica" am Sonntag. Der Mythos sei vor allem in Deutschland durch Schriften von Richard Wagner und Thomas Mann verbreitet. Die Studie soll demnächst in der medizinischen Zeitschrift "Minerva Psichiatrica" veröffentlicht werden. Die in Venedig lebende Psychologin Diana Stainer habe dafür die Geschichten von 25 Selbstmord-Touristen aus der Zeit zwischen 1988 und 1995 analysiert. Alle versuchten sich in der Lagunenstadt das Leben zu nehmen, seien jedoch gerettet worden. Den Ärzten berichteten sie laut "La Repubblica", sie hätten gezielt Venedig gewählt. Bei den Betroffenen handele es sich in der Mehrzahl um Singles, je zur Hälfte Frauen und Männer, Durchschnittsalter 40 Jahre, aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien und den USA. Einige litten unter Depressionen, andere gaben private und berufliche Probleme als Grund an. Frauen hätten eine Überdosis Schlaftabletten im Hotelzimmer genommen, Männer hätten sich aus dem Fenster oder von der Rialto-Brücke in den Canale Grande gestürzt. "Venedig ist eine mythische Stadt, praktisch ein Trug-, ein Traumbild in den Augen der ausländischen Touristen", sagt die Psychologin Stainer. Die Zeugnisse der 25 Überlebenden seien vermutlich nur die Spitze des Eisbergs, der Hinweis auf ein "unterschätztes Phänomen mit weitaus größeren Ausmaßen". Für den Psychiater und Forscher Annibale Crosignani sind insbesondere sensible Menschen anfällig für das "Venedig-Syndrom". (APA)