Belgrad - Zoran Lilic war Gründungsmitglied der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) und einer der engsten Mitarbeiter von Slobodan Milosevic. Er war Inhaber höchster Funktionen in Staat und Partei und jugoslawischer Bundespräsident. Am 17. August ist er demonstrativ von allen Funktionen zurückgetreten und hat vor wenigen Tagen die Serbische Sozialdemokratische Partei gegründet. Er ist der erste hohe SPS- Funktionär, der bereit war, über Milosevic und sein Machtsystem zu sprechen. Milosevic selbst ist am Montag erstmals seit dem Eingeständnis seiner Wahlniederlage am 6. Oktober im TV aufgetreten. Standard: Sie haben Milosevic verlassen. Bangen Sie um Ihr Leben? Lilic: Ja. Die meisten Mordopfer in Serbien waren ja aus den Reihen der SPS, der Loyalität musste oft mit Repression nachgeholfen werden. Der größte Fehler von mir und anderen Mitgliedern der SPS war, dass wir es zugelassen haben, dass sich die Partei in ein Instrument zur Befriedigung parasitärer Leidenschaften von Einzelpersonen verwandelt, die sich nur bereichern wollten. Die Angst, Privilegien zu verlieren und zur Verantwortung gezogen zu werden, hat die Politik des Regimes bestimmt. Standard: Trotzdem sind Sie Milosevic jahrelang treu geblieben. Lilic: Anfang der 90er waren wir alle um Milosevic ehrlich überzeugt, dass wir im Interesse des ehemaligen Jugoslawien handeln. Mit der Zeit ist die Politik dann immer militanter geworden. Vor allem unter dem Einfluss seiner Gattin, Mira Markovic, und ihrer Partei, der Jugoslawischen Linken (JUL), die viele Elemente einer extremistisch-bolschewistischen Partei hat. Am Ende ließ sich Milosevic von der größenwahnsinnigen Idee leiten, dass sich Serbien der Nato widersetzen könnte. Dabei war er bereit, Menschenleben und den Staat zu opfern. Ich habe Milosevic Anfang Mai 1999 einen mit europäischen Staaten ausgearbeiteten Plan vorgelegt, der das Bombardement der Nato viel früher beendigt hätte. Milosevic hatte ihn abgelehnt, wohl um die eigene Größe zu zeigen, und ich wurde fast für verrückt erklärt. Obwohl dieser Plan viel günstiger für die Serben im Kosovo gewesen wäre als die Kapitulation nach unnötiger Zerstörung. Standard: Hat die Demokratische Opposition Serbiens (DOS) den Machtwechsel vollständig durchgeführt? Lilic: Absolut nicht. Die serbische Übergangsregierung funktioniert nicht, und die Bundesregierung wird von Montenegro nicht anerkannt. In diesem Chaos sieht Milosevic seine Chance. Standard: Wer kontrolliert denn Polizei und Armee? Lilic: Sie unterliegen keiner direkten Kontrolle, werden von mehreren politischen Führern beeinflusst, die sie ausnutzen wollen. Das ist sehr gefährlich. Geheimdienstchef Radomir Markovic etwa wird von der alten Nomenklatur und einigen DOS-Führern beschützt. Oder er hält sie durch Geheimakten in der Hand. Standard: Was wird Milosevic jetzt tun? Lilic: Milosevic bereitet sich sehr ernsthaft für den SPS-Parteikongress am 25. November vor. Ich bin sicher, dass er an der Spitze der SPS bleiben und frech an den Parlamentswahlen am 23. 12. teilnehmen wird. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.11.2000)