Rehovot - Einen wichtigen Mechanismus an der Kippe zwischen Leben und Tod haben Wissenschafter des israelischen Weizmann-Instituts entdeckt. Man weiß, dass das genetische Material in den Zellen aller Organismen permanent beschädigt wird, zum Beispiel durch die Einwirkung von Sonnenlicht oder Chemikalien. Man weiß auch, dass die dabei entstehenden "Fehler" nicht alle beim Abschreiben des Gencodes übernommen werden, sonst würde rundum reines Chaos herrschen. Also war klar, dass es bestimmte Reparatursysteme geben muss. Doch die, fanden die Wissenschafter heraus, arbeiten meist nach dem Prinzip "Alles oder nichts": Entweder wird die Stelle repariert oder - wenn das nicht geht - wird die DNS-Replikation eingestellt und die Zelle stirbt ab. Gäbe es nur dieses System, wäre die Lebenszeit aller Organismen entschieden kürzer bemessen. Der Schlüssel zum Leben - und zur Evolution - liegt also in der "Kompromissbereitschaft" der Zelle, eine kleine Anzahl von Mutationen zuzulassen.Reparaturtrupps der Zelle Mit diesen Zusammenhängen beschäftigt sich eine Gruppe von Forschern um den Biomediziner Zvi Livneh am Weizmann-Institut in Rehovot. Federführend beim Abschreiben des Gencodes ist die DNS-Polymerase, ein Enzym, das auf dem DNS-Originalstrang entlangfährt und die "Buchstaben liest", um den passenden Gegenstrang zu bilden. Stößt es an die beschädigte Stelle, steht es still und ruft einen "Reparaturtrupp" zu Hilfe. Einen dieser "Trupps" hat Livnehs Team kürzlich entdeckt. Darunter fand sich zuletzt auch das Enzym DNS-Polymerase R1, eines der gesuchten "kompromissbereiten", die bei Fehlern ihre Arbeit nicht einstellen. Weil diese Kompromissbereitschaft aber natürlich auch Nachteile hat und zum Beispiel Bakterien die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen erlaubt, will Livneh nun unter anderem versuchen, das "schludrige" Duplikationsenzym R1 in Bakterien zu blockieren. Seine Forschungsergebnisse werden in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS, USA) vorgestellt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.11.2000, hk)