"Thomas, den Außenzügel etwas kürzer, ja so ist’s gut! Bei A angaloppieren!" Geschmeidig springt der Braune in Galopp und umrundet den Zirkel. Der Ritt sieht harmonisch aus, das Pferd kaut zufrieden am Gebiß, bloß die Westernsteigbügel am Dressursattel lassen erahnen, daß hier etwas anders ist, als bei herkömmlichen Dressurreitern. Thomas Haller lebt mit einer Spastischen Diplegie, einer beidseitigen Lähmung der Beine, die ihm das Gefühl darin fast gänzlich raubt und eine Fortbewegung zu Fuß nur mühsam mit Hilfe von Krücken erlaubt. Auf dem Pferd ist davon aber nichts zu bemerken, mit seinem Mikel reitet er so manchem Dressurreiter ohne Handicap auf und davon. Thomas ist einer jener Reiter, die trotz oder gerade wegen ihrer Behinderung aufs Pferd gefunden haben und denen der vierbeinigen Kamerad eine faszinierende Freizeitgestaltung und sportliche Betätigung ermöglicht. Die Beweggründe für behinderte Menschen, sich für den Pferdesport zu interessieren sind vielfältig. Für manche ist es die Möglichkeit der Rehabilitation, die sie aufs Pferd treibt – sehr oft kommen diese Reiter aus der Hippotherapie oder dem Heilpädagogischen Voltigieren. Andere wollen einfach ihre Freizeit mit dem Pferd verbringen und sich mit dessen Hilfe Räume erschließen, die ihnen aufgrund ihrer Behinderung vielleicht verwehrt bleiben, möglicherweise sind sie sogar früher geritten. Und manche entwickeln daraus soviel sportlichen Ehrgeiz, daß sie ihr Können im Wettkampf demonstrieren wollen. Voraussetzungen Die Grundvoraussetzung für das Behindertenreiten ist jedoch für alle gleich: Die Sportfähigkeit muß gegeben sein, was beim Reiten eine gewisse Balance- und Kopfkontrolle und die Möglichkeit der Verständigung mit dem Pferd voraussetzt. Und das Reiten darf nicht kontraindikativ sein, sprich: die Betätigung am Pferd darf keine Gesundheitsgefährdung oder die Verschlimmerung einer bestehenden Behinderung hervorrufen. Die Befähigung zum Reiten sollte daher immer zunächst von einem Arzt geprüft werden und die Ausübung unter Anleitung eines geprüften Behindertenreitwartes in Zusammenarbeit mit Arzt bzw. Therapeuten erfolgen. So keine Kontraindikationen festgestellt werden, ist Reiten, in welcher Sparte auch immer, für fast jeden Behinderten – egal ob körperlich, geistig oder sinnesbehindert – möglich. Natürlich muß die Ausrüstung auf die körperlichen Behinderungen abgestimmt werden – hier ist Eigeninitiative und Erfindergeist gefragt. Zwar bietet seit kurzem auch ein renommierter Reitsportartikel-Hersteller Spezialausrüstung für Behinderte an, die unterschiedliche Anpassung von Sattel, Bügeln und Zügeln wird sich der Betreffende in Zusammenarbeit mit dem Behindertenreitwart und einem Sattler aber besser individuell gestalten. Medizinisch wertvoll Der medizinische Wert des Behindertenreitens ist groß, so ist der Reitsport beispielsweise für Thomas die einzige Möglichkeit, seine Beweglichkeit und damit Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Auch das nach Amputationen gestörte Gleichgewichtsgefühl kann nirgends besser als auf dem Pferd trainiert werden. Sekundärschäden wie etwa vermehrte Wirbelsäulenkrümmung können durch die sportliche Betätigung oft abgefangen werden. Das Pferd motiviert zudem zur Bewegung, mehr als jede Gymnastik. Elisabeth Höss, die Trainerin der zwölfjährigen blinden Reiterin Sandra Seiwald kann dies nur bestätigen: "Sandra ist jetzt in einem Alter, wo sie gerne träge und faul wäre, sie würde sich am liebsten vor Anstrengungen drücken. Aber auf dem Pferd geht das nicht, da muß sie was tun und wird auch entsprechend motiviert dazu." Die Motivation durch das Pferd und die Erfolgserlebnisse mit dem vierbeinigen Partner steigern das Selbstwertgefühl und bringen neue Lebensfreude. Die Integration von Behinderten in der Welt der nicht-behinderten Menschen erfolgt nirgends besser, als im Reitsport. Thomas erzählt noch heute mit Begeisterung von seinen ersten richtigen Reiterlebnissen auf der Rieglerhütte, einem Wanderreitstall, wo er einfach Reiter unter Gleichgesinnten war. Hatte er bei seiner ersten Begegnung mit dem Pferd als Zwölfjähriger im Rahmen der Hippotherapie noch Angst vor Pferden, so lernte er dort die Faszination des Reitsport in der Gemeinschaft von seiner schönsten Seite kennen. Heute ist Thomas erfolgreicher Unternehmer, glücklich verheiratet und dank des Trainings bei Gaby Orac (Pionierin des Behindertenreitens in Österreich) leidenschaftlicher Turnierreiter. Erfolg im Turniersport ie Teilnahme an regulären Turnieren ist für behinderte Reiter möglich, benötigte Hilfsmittel – wie etwa bei Thomas die Westernbügel zur besseren Haltung der Beine oder bei Sandra Stimmhilfen zur Orientierung im Viereck – werden sportärztlich bestätigt und dürfen angewendet werden, ansonsten müssen sie aber die gleichen Leistungen wie Nicht-Behinderte erbringen. Eigene Behinderten-Turniere gibt es in Österreich nicht, einige wenige Turnierveranstalter integrieren hin und wieder einen Handicap-Bewerb in ihr Turnier. Im Normalfall reiten Behinderte aber in denselben Bewerben, wie ihre nicht-behinderten Kollegen – und das ist ihnen eigentlich auch lieber. Sie wollen als ganz normale Reiter gelten und nicht in isolierte Randbewerbe verdrängt und somit wieder ghettoisiert werden. Sie wollen akzeptiert werden und zeigen, daß sie die gleichen Leistungen wie alle anderen erbringen können. Die reitenden Kollegen haben damit im Normalfall keine Probleme, wer manchesmal allerdings erst lernen muß, damit umzugehen, objektiv das Pferd zu beurteilen und Mitleid hintanzustellen, sind die wertenden Richter. Partner und Freund Für viele behinderte Reiter ist der sportliche Leistungswettbewerb aber gar nicht so wichtig. Für sie steht die Beschäftigung mit dem Pferd und das neue Bewegungs- und Gemeinschaftsgefühl, das sie durch den Partner vermittelt bekommen, im Vordergrund. Die Pferde für behinderte Reiter müssen wie im Therapieeinsatz charakterlich einwandfrei und gut ausgebildet sein, um das Verletzungsrisiko so gut es geht auszuschalten, und sie müssen willig mitarbeiten. Ein Behinderter hat nicht unbedingt die Möglichkeit zur korrekten Hilfengebung, eine gelegentliche Korrektur und Gymnastizierung des Pferdes durch den Behindertenreitwart wird daher nötig sein. Ein geeignetes Pferd zu finden, ist nicht leicht, auch Thomas entdeckte seinen Mikel eher zufällig. Dafür war die erste Begegnung umso intensiver: Nahmen andere Pferde vor seinen Krücken reißaus, kam der Braune vertrauensvoll näher und beknabberte die ihm unbekannten Gehbehelfe. Damit war der Bann gebrochen und Thomas’ und Mikels gemeinsame Zukunft konnte beginnen. Eine Zukunft geprägt von gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamen Erfolgserlebnissen. © Pferderevue/Uschi Rezac Erfolgs-Sportler Die internationalen Erfolge Österreichs behinderter Pferdesportler können sich sehen lassen. Im Jahr 1991 wurde Lili Maxwald Blindenweltmeisterin im Dressurreiten, heuer erreichte die österreichische Mannschaft (J. Eder, J. Gschwandner, A. Taborsky) bei der Behinderten-WM der Einspänner-Fahrer die Goldmedaille und darüberhinaus durch Anton Taborsky den Sieg in der Einzelwertung. Medaillen für Österreicher gibt es auch immer wieder bei den Special Olympics. Gewaltige Leistungen für das im Bereich des Pferdesports nicht gerade erfolgsverwöhnte Österreich. Umso unverständlicher und enttäuschender ist für die behinderten Pferdesportler die geringe Akzeptanz seitens des Bundesfachverbandes. Unterstützung gibt es für sie kaum, wenn sie als geschlossene Mannschaft auftreten wollen, müssen sie sogar für einheitliche Kleidung und rot-weiß-rote Aufnäher selbst aufkommen. Im Vergleich zu anderen Nationen oft eine beschämende Situation.