Am Freitag wurde erstmals der mit 100.000 Schilling dotierte Preis der Literatur-zeitschrift "kolik" vergeben. Die - hier gekürzt abgedruckte - Laudatio für Kathrin Röggla hielt der Autor und Schauspieler Hanns Zischler. Resopaltische. Neonlicht. Schlechte Luft. Bleiche Gesichter. Dunkelt es draußen, oder ist das der opake Widerschein der schmutzigen Fenster? Ich stehe in der Rostlaube, einem geisteswissenschaftlichen Gebäude, einem Trakt der Freien Universität Berlin. Gebäudeschlauch eher. Von draußen so hässlich wie drinnen. Betritt man diese Überwölbung, diesen Darm, wird einem heiß, der Körper schlagartig müde. Man möchte gleich wieder raus. Drei Autoren lesen in einem halb vollen Raum. Kathrin Röggla ist darunter. Hatte von ihr gehört, ganz wenig, mit zerstreuter Wahrnehmung. Auch gelesen. "Abrauschen". Szenen, Splitter von Szenen, Wortspleißen waren im Gedächtnis geblieben - "archaische teppichklopfstange": Stand das da? Hier war's: "dann sehe ich auch aus dem fenster, sehe wieder den jungen bei der archaischen teppichklopfstange, der sitzt auf seinem mountainbike und fährt mit diesem, die hand immer fest an der stange, leicht nach vor und zurück, starrt dabei in richtung hausfront und scheint zu warten. was hat er vor? lange haare und darüber hinaus? das mögen sich wohl mehrere hausfrauen fragen, und nur ich weiß die antwort: er wartet auf ein zeichen von mir, ein kleines geräusch, mit dem spiegel die sonne ins gesicht oder so, das wollen sie ja alle: nicht mehr ganz mamas liebling, schon ausgerutscht, das volle tekkno-outfit hat der schon am laufen, aber das war gestern in der waschküche." Frage Warum liest sie hier, fragte ich mich. Vermutlich eine Verschiebung der anderen, an mich selbst gerichteten Frage, was mich den Weg hierher hat finden lassen. Aber dann - sie liest. Und ich bin in der Gegenwart angekommen. Das Bild stellt sich von selbst ein, es kehrt, lange verschollen, wieder zurück. Ein ovaler, windschnittiger Stein segelt immer wieder aufditschend über den Strom - das ist ihre Stimme. Flinker Stein, leichtes Geschoß, große Reichweite. Rasiert und punktiert die Wasseroberfläche, nicht um darin einzutauchen, sondern um sich abzustoßen, neuen Drall zu bekommen, wieder und wieder. Attraktion und Abprall Und weiter zuhörend und später nachlesend dämmert mir, dass die Texte selbst so beschaffen sind. Sie segeln, aus dem Stand abgefeuert, über das reißende Wasser. Der rotierende Stein. Die Sprache, die mit frappierender Behendigkeit sich von der Materie, dem Material, das nach ihr greifen und sie hinabziehen will, abstößt, mit Attraktion und Abprall spielt. "- also gut, coole sternchen auf die stirn kleben (eighties im kommen!) [immer noch? - pssst!] und strategien dabei entwerfen für den jahrtausendbeginn, in irgendeiner düsteren nacht, nein, da muss es schon das shockwave-dasein in irgendeinem club sein, der dem early-eighties-design auch so halbwegs entspricht. hier haben wir aber eher etwas undefinierbares mit diametral entgegengesetzter lichtregie. irgendwo in den tiefen des raums ist in diesen tagen natürlich immer ein dj in gang, also muss auch hier einer zu finden sein, doch finden wir keinen, und das gibt uns den rest: die musik geht ja noch von alleine und ist schon so laut." Wir sind in Berlin, in einem Berlin, das ich - Spaziergänger und Fahrrad- und S-BahnFahrer und Frühaufsteher - gar nicht kenne. Doch unversehens werden Auge und Ohr des Lesers mitgezogen von der vorwärtsdrängenden Rögglasprache, die stellenweise wie ein Rap klingt - und wie der Rapper arbeitet sie mit Ellipsen, rasanten Verkürzungen, die wiederum den Text beschleunigen, Abkürzungen, Wort- und Satzkürzeln, Stenogrammen aus Logos, Trademarks, dummen Sprüchen und Kalauern. Was die Wünschelrute ihrer Aufmerksamkeit und das stethoskopisch verfeinerte Gehör aufnehmen, wird nicht einfach, als "irre Fundstücke", ausgebreitet, sondern nachbearbeitet, semiotisch verdichtet. Vielleicht nur Szenesprache Das, was sonst vielleicht nur Szenesprache oder Jargon oder "Spruch" oder "Angesagtes" ist, setzt sich neu zusammen. Aus dem Gelichter dieser Halbsprachen tauchen dann Dialoge auf, die Gespräche schon nicht mehr sind, eher Schleifspuren von etwas irgendwie Gemeintem - und die Illusion, dass die Subjekte hier auch nur ansatzweise sprachmächtig wären, ist verflogen, ehe sie überhaupt aufkam. So in einem ihrer jüngsten Texte - "sprinter": "er aber dreht sein handy immer noch. "sag mal, kannst du das nicht lassen?" wurde ihm schon mehrmals gesagt. "du bist echt 'n freak!" denn nerd sagt man ja nicht, eher schon neef, weil doch der gerade aus thilos seele spricht, und während der dem aus der seele spricht, sprechen andere daraus auch noch weiter, das ist so ein parallelverfahren, denn seine echte seele ist ja nicht alleiniges paulus-neef-gebiet, doch wenn er glaubt, er rede selber auch noch ein wörtchen mit, dann hat er sich geirrt, er bleibt da sauber ausgespart. das denken in visionkategorien ist längst abgefrühstückt." Module nennt Röggla diese Gespräche, dieses zwischen Handy und Tunnelzwangspausen tickernde Gerede, diese Pausenfüller in einem ICE. Geht man durch die große Collage ihrer Texte - und zunehmend verdichtet sich für mich der Eindruck, dass Kathrin Röggla an EINEM Text schreibt, dem Text der Stadt (Berlin) - erkennt man allmählich die großartige Ökonomie der Umwege und Extensionen, die sie betreibt und ständig weiter erprobt. So wie einst der Fluglotse Charles Norton sein Suchprogramm nach untergegangenen, aber noch nicht gelöschten, noch nicht überschriebenen Zeichen so eingerichtet hat, dass aus den Stück für Stück wieder emporgezogenen Wörtern durch beharrliches Montieren ein neuer Text entstehen konnte - in dem Maße, wie er entziffert wird.
    Der Schauspieler und Autor Hanns Zischler ist u. a. Mitbegründer des Merve Verlags. Er veröffentlichte den Essay "Kafka geht ins Kino" und die Textsammlung "Borges im Kino" (beide bei Rowohlt) und übersetzte für ECM-Records die Textspur von Godards "Histoire(s) du Cinéma". Als Mitglied im Ensemble von Rudolf Thomes Film "Paradiso" erhielt er 1999 den "Silbernen Bären" der Berlinale. Er lebt in Berlin.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25./26.11.2000)