New York - Jeder Privatanleger mit einem Computer und einem Modem kann heute über Internet auf allen internationalen Börsen Aktien handeln. Doch er hat keinerlei Garantie, dass er auf diese Weise den zum jeweiligen Zeitpunkt bestmöglichen Preis erhält. Gerade bei volatilen Technologieaktien kann der Kurs längst anderswo sein, wenn der Auftrag tatsächlich ausgeführt wird. Wenn es nach den Plänen der New York Stock Exchange (NYSE) geht, dann wird es in einigen Jahren keinen Unterschied mehr machen, ob man in New York, Tokyo oder Wien seinen Auftrag ins Internet stellt. GEM (Global Equity Market) heißt das System, mit dem der größte Aktienmarkt der Welt ein internationales Börsennetzwerk aufbauen will, das praktisch jeden Investor gleichstellt. "Ein Österreicher kann dann einen Auftrag für IBM-Aktien an, sagen wir das Bankhaus Winter senden, das dann im konsolidierten Order-Buch in New York landet, wo alle anderen Aufträge drinnen sind", sagte Georges Ugeux, internationaler Chef der NYSE, anlässlich der Telekom-Austria-Einführung in New York. Ein Edelstein rund um die Welt Die NYSE will sich in den kommenden Jahren zu diesem Zweck mit den Börsen in Toronto, Mexiko-Stadt, Sao Paulo, Tokyo, Hongkong, Sydney und der europäischen Euronext, zu der Paris, Amsterdam und Brüssel gehören, zusammenschließen. Weitere Partner sind willkommen. Ab dem Jahr 2005 soll GEM (englisch: Edelstein) 22 Stunden am Tag in Betrieb sein - bloß zwischen dem Schluss in New York und dem Start in Sydney wird es Zwei Stunden Pause zur Systemwartung geben. GEM soll laut Ugeux in Form von Joint Ventures entstehen, bei denen die nationalen Börsen ihre Unabhängigkeit behalten. Diese Strategie sei leichter durchzusetzen als die großen Börsenfusionen, wie sie etwa London und Frankfurt vergeblich angestrebt haben. "Wir machen damit weniger Schlagzeilen als die anderen, aber wir bieten genau das, was die Anleger und die Unternehmen wollen - einen globalen, transparenten Aktienmarkt", sagt der gebürtige Belgier, der zielstrebig die internationale Expansion der NYSE vorantreibt. Europas größte Börse ist . . . So sind mit der Telekom Austria bereits Aktien aus 51 Ländern am "Big Board" gelistet, und mit einer europäischen Marktkapitalisierung von 3,7 Billionen Dollar (4,4 Bill. [*]/605 Bill. S) ist die NYSE die größte europäische Börse, noch vor der London Stock Exchange (2,9 Bill. Dollar). Das Handelsvolumen mit europäischen Aktien ist von 220 Mrd. Dollar 1998 auf heuer 550 Mrd. Dollar gestiegen. Ein Listing in New York gebe Europas Unternehmen besseren Zugang zu US-Investoren, sagt Ugeux; es erleichtert Akquisitionen in den USA, ermöglicht Aktienoptionen für US-Mitarbeiter und schafft durch die strengen Auflagen der Wertpapierbehörde SEC ein Gütesiegel für die "Corporate Governance". GEM soll schrittweise entstehen: Zuerst sollen sich die Börsen in einer Zeitzone zusammenschließen, erst später kommt es zum transatlantischen und transpazifischen Schulterschluss. Teilnehmen können nur Börsen, die ein Auktionssystem fahren - dazu gehört etwa nicht der größe New Yorker Rivale Nasdaq, wo Technologie-Schwergewichte wie Microsoft, Intel und Cisco notieren. Die NYSE legt laut Ugeux großen Wert darauf, dass durch GEM die nationalen Börsen nicht ihre Schwergewichte verlieren: "Der globale Markt ist auf 2000 bis 3000 Aktien beschränkt, und die übrigen 200.000 Titel brauchen auch ein Zuhause. Es gibt in Wien etwa fünf Aktien, die global gehandelt werden. Aber die Wiener Börse braucht auch diese fünf Werte. Sie braucht die Kombination der Einnahmen aus Large Caps mit den Aktivitäten aus Small Caps." Ugeux ist auch davon überzeugt, dass der Parketthandel an der NYSE den reinen Computerbörsen überlegen ist. "Wer einen Auftrag von 250.000 Compaq-Aktien in einen Computer stellt, ist ein Idiot, denn der Kurs wird sich sofort gegen ihn bewegen. Stattdessen muss man informell den Markt abtasten und mit einzelnen Anbietern verhandeln. Das machen bei uns die Händler auf dem Parkett und können dadurch auch große Aufträge abwickeln, ohne den Kurs zu zerstören. Es ist ein echter Markt, mit echten Menschen." (Eric Frey, DER STANDARD, Printausgabe 27.11.2000)