Unter Rom kann man sich assoziativ wohl ein Kapitel Menschheitsgeschichte vorstellen, einen Mittelpunkt der Welt, auf sieben Hügeln erbaut und auf vielen Wegen erreichbar. Aber mittlerweile, so ging eine Pointe in Peter Wapnewskis Eröffnungsrede, mittlerweile meint Rom ein Ding, auf dem man allenfalls diesen Weltmittelpunkt speichern kann, eine kleine Scheibe, die man in den Computer einlegt. Das war zwar witzig, traf aber nicht ganz ins Ziel des Mainzer Kongresses "Gutenbergs Folgen - Von der ersten Medienrevolution zur Wissensgesellschaft". Und vielleicht sind ja die ergrauten Herren, die in der ehrenwerten Stiftung Lesen den Ton angeben und auf dieser Konferenz das Sagen haben, nicht so ganz in der Lage, das Potenzial der elektronischen Revolution einzuschätzen. Vielleicht sollte man sich deswegen auch erst einmal über phänomenologische Grundfragen einigen: Was zum Beispiel ist Lesen? Das Sich-Versenken in die imaginären Welten großer Literatur? Das Nachschlagen im Telefonbuch? Oder das Entziffern von Text auf einem Bildschirm? Solange darüber keine begriffliche Klarheit geschaffen wird, sind alle Umfragen über das Leseverhalten mit Vorsicht zu genießen. Jetzt kam gerade wieder eine heraus, im Auftrag der Stiftung Lesen und des Bundesministeriums Für Unterricht, Bildung und Forschung. Ergebnis: Die tägliche Buchlektüre bei den Deutschen hat stark abgenommen, sie ist in acht Jahren von 16 auf sechs Prozent der Bevölkerung gesunken. Über die Qualität der Lektüre besagt das wenig, da nützt auch die Unterscheidung zwischen Sachbüchern und Belletristik nichts. Und so erschien Wapnewskis Vortrag plötzlich noch in einem anderen Licht: Er breitete nämlich seine Lektürebiografie von Dante über Cervantes bis Goethe auf eine Weise aus, dass man sich sofort in diese geistigen Kathedralen versetzt fühlte und den Zauber der zitierten Texte gleichsam am eigenen Leib verspürte, während der ganze kulturtragende Zauber in der angeführten Lesestudie zu bloßen Minutenangaben verklumpte. So redeten die Konferenzteilnehmer weitgehend aneinander und am Thema vorbei: Während die einen die bloße Fertigkeit des Lesen meinten und die zivilisatorischen Bedrohungen beschworen, die ein weiterer Rückgang dieser Kulturtechnik nach sich zöge, setzten sich andere darüber auseinander, ob etwa Bestseller als solche zu begrüßen oder zu verdammen seien.
Mischkalkulationen
Gert Heidenreich kürzte diese Diskussion dankenswerterweise ab, indem er erklärte, jeder Autor und jeder Verleger wünsche sich, dass seine Bücher Bestseller werden - ja, jeder Autor müsse sogar wünschen, dass sein Verleger wenigstens andere Bestseller im Programm habe, denn nur dann lassen sich durch so genannte Mischkalkulationen die Vorschüsse auf weniger erfolgreiche Titel finanzieren. Die Metaphysik der Mischkalkulation aber kann dem kommerziellen Erfolgsdruck im Rahmen großer Konzerne auf Dauer kaum widerstehen. Wenn für das eingesetzte Kapital 15 Prozent Rendite erwartet werden, sagte der langjährige Luchterhand-Chef Hans Altenhein, dann bräuchte man über das Buchwesen im herkömmlichen Sinn nicht mehr nachzudenken. Für die Lesekultur der Rezipienten wie für die Verlagskultur der Produzenten gilt das Bonmot, das Altenhein aus Amerika importierte: "Man kann aus einem Aquarium Fischsuppe machen; der Prozess ist aber schwer umkehrbar." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 11. 2000)