Mensch
"War der Mensch früher mehr ein aquatisches Lebewesen?"
Eine alte neue Hypothese zum Ursprung des großen Gehirns und des aufrechten Gangs: der Mensch als "Wasseraffe".
London - "War der Mensch früher mehr ein aquatisches Lebewesen?", fragte vor 40 Jahren der britische Ozeanograph Alister
Hardy und meinte damit, dass unsere Ahnen durch eine eng mit dem Wasser verbundene Lebensweise Menschen geworden
sind. Er konnte auch Belege vorbringen - unsere unter Primaten einzigartige Fettschicht und unsere exzellente
Schwimmfähigkeit - und selbst den aufrechten Gang und die Befreiung der Hände für neue Aufgaben erklären: Wer, etwa auf
der Flucht vor Raubtieren, ins Wasser geht, behält den Kopf so weit oben wie möglich.
Aber außer bei einer Amateuranthropologin, die weitere Hinweise beibrachte - nur wir können den Atem anhalten -, fand die
Hypothese vom "Wasseraffen" wenig Anklang. Denn damals florierte die Hypothese vom "Killeraffen".
Ihr zufolge ist der waldbewohnende Vormensch vor etwa zwei Millionen Jahren aus Gründen der Jagd und eines Klimawandels
von den Bäumen in die offenen Savannen hinab gestiegen und hat sich unter deren härteren Bedingungen entwickelt: Das
Gehirn wuchs um die Hälfte. Das schloss man aus Fossilien-Funden in Savannen.
Neue Indizien
Aber in den 90er-Jahren zeigten Analysen von fossilem Pollen, dass die heute heißen, trockenen Savannen zur Zeit der
Vormenschen durchaus bewaldet waren. Hingegen fand sich überall, wo man Urmenschen gefunden hatte, auch Wasser.
Dazu passen frühe Besiedelungen von Regionen, die leichter schwimmend - Boote waren nicht erfunden - als auf langen
Landwegen zu erreichen waren, etwa nahe der spanischen Seite der Meerenge von Gibraltar.
Das ist spekulativ, aber zum "Wasseraffen" passt auch die zentrale Erfindung des Menschen, sein großes Gehirn: Das von
Savannen-Bewohnern ist eher klein - ein Ein-Tonnen-Nashorn hat 350 Gramm Gehirn -, und in der Savanne gibt es zwei
Fettsäuren kaum, die zum Bau jedes Gehirns nötig sind, DHA und AA. Sie aber gibt es im Überfluss bei Fischen, deren
Verzehr dem Gehirn Wachstum ermöglicht.
Ab statt auf
Andere postulieren gar einen gemeinsamen Ahnen aller Primaten, der vor 17 Millionen Jahren in Sümpfen gelebt habe und
dort aufrecht gegangen sei. Demnach hat nicht der Mensch den aufrechten Gang erworben, die anderen Primaten haben ihn
verloren. (jl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 11. 2000).