Brüssel - Der für die EU-Erweiterung zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen glaubt, dass eine Lösung in der Frage des umstrittenen südböhmischen Atomkraftwerks Temelin gefunden werden kann. Es sei ein "vernünftiger Weg eingeschlagen worden" und Gespräche seien in Gang. Die EU habe allerdings keine Möglichkeit, die Stilllegung Temelins zu verlangen. Wenn Österreich das gewollt hätte, hätte es spätestens beim Europäischen Rat in Luxemburg im Dezember 1997 Temelin auf die Liste jener Atomkraftwerke wie Bohunice, Kosloduj und Ignalina setzen lassen müssen, die dann im Zuge der später eröffneten Beitrittsverhandlungen mit den Kandidatenländern wegverhandelt worden sind, sagte Verheugen am Dienstag vor österreichischen Journalisten in Brüssel. Die EU-Kommission könne mit Prag auch nicht über nukleare Sicherheit verhandeln, da es keine entsprechenden Sicherheitsstandards in der EU gebe. Verheugen bestritt ihm zugeschriebene Äußerungen, er halte Temelin nach den notwendigen Verbesserungen für das sicherste AKW in Europa. Er gehöre nicht zu jenen, die das glauben, er könne die Frage auch gar nicht beurteilen, weil er kein Techniker sei. "Geheimhaltungskultur" Optimistisch zeigte sich Verheugen jedoch bezüglich einer Umweltverträglichkeitsprüfung. "Wir arbeiten daran", sagte er. Auch wenn man Prag nicht dazu zwingen könne. Dass Tschechien bisher nicht genügend informiert habe, führte Verheugen auf eine "Geheimhaltungskultur" sowohl Tschechiens als auch der amerikanischen Errichtungsfirma zurück. Die so genannten Benes-Dekrete, die nach dem 2. Weltkrieg die Grundlage der Vertreibung und Enteignung der deutschsprachigen Minderheit aus der Tschechoslowakei waren, sind laut Verheugen "kein Thema für die Erweiterungsverhandlungen". Teile der Rechtsordnung, die in der Vergangenheit gesetzt wurden, könnten nicht abgeschafft werden, ihre "praktische Anwendung" müsse jedoch dem EU-Recht entsprechen. Deshalb dürften die Benes-Dekrete ab dem Zeitpunkt der Mitgliedschaft Tschechiens "keine neuen rechtlichen Wirkungen mehr entfalten". Die Frage der Benes-Dekrete habe jedoch eine "historisch moralische" Seite, so Verheugen. "Irgendein Dialog über die gemeinsame Geschichte wird zwischen Österreich und Tschechien nötig sein", wie es dies auch zwischen Deutschland und Tschechien gegeben habe. Ein Grund, dass das noch nicht passiert sei, liege vielleicht darin, dass sich "Österreich viele Jahre lang als Opfer" bezeichnet habe. Global 2000: Bohunice um sechs Jahre zulange am Netz Es sei eine "grobe Verkennung der Lage" davon zu sprechen, dass einzelne osteuropäische Atomkraftwerke "wegverhandelt" worden seien, kritisiert die Umweltorganisation Global 2000 Aussagen von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen vom Dienstag vor österreichischen Journalisten. Die von Verheugen angesprochenen Kraftwerke Bohunice, Kosloduj und Ignalina seien noch am Netz, so Corine Veithen am Nachmittag zur APA. Das slowakische AKW Bohunice etwa werde bis 2006 beziehungsweise 2008 am Netz bleiben, statt wie versprochen 2000 zugesperrt zu werden. Das sei "ein schlechter Kompromiss" der EU gewesen. Davon zu sprechen, dass das AKW "wegverhandelt" sei, sei "eine Beleidigung" für Jene, die sich jahrelang für die rasche Schließung des Atomkraftwerkes eingesetzt hätten. Pühringer kritisiert Verheugen Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer hat am Dienstag die Aussage von EU-Kommissar Günter Verheugen kritisiert, wonach die EU-Kommission nicht mit Prag über nukleare Sicherheit verhandeln könne, da es keine entsprechenden Sicherheitsstandards in der EU gebe. Es sei nicht mehr länger akzeptabel, dass die EU in einer so zentralen und existenziellen Frage wie der Sicherheit von Atomkraftwerken keine Standards festgelegt habe und daher über nukleare Sicherheit nicht verhandeln wolle, erklärte Pühringer. Außerdem müsse klar sein, dass europäische Standards nicht unter dem aktuellen Stand der Technik liegen dürften: "Niemandem wäre erklärbar, dass ein höherer Standard zwar technisch möglich ist, die Bevölkerung in der Grenzregion sich aber mit einem niedrigeren abfinden muss, weil mögliche EU-Standards den aktuellen Stand der Technik ignorieren", betonte Pühringer. (APA)