Wien - Während in Österreich die totale Strommarkt-Liberalisierung im nächsten Oktober Realität werden soll, ist das große Deregulierungsvorbild, der US-Bundesstaat Kailfornien, voll auf die Liberalisierungsbremse gestiegen, heißt es in einem internen Papier der österreichischen E-Wirtschaft. Weil die Preise massiv gestiegen sind und die Versorgungsengpässe fast schon zum Alltag für kalifornische Stromkunden wurden, hat Gouverneur Gray Davis die Re-Regulierung angeordnet. Brokern und Händlern wurden die Lizenzen entzogen, die Architekten der Marktöffnung wurden gefeuert und durch eine Sonderkommission ersetzt, die ein neues Stromgesetz erarbeiten soll. Hauptgrund für diesen Schritt zurück: Blackouts und Preisschocks bedrohen die US-Konjunktur: In den vergangenen Jahren wurde das US-Wirtschaftswachstum zur Hälfte von der boomenden New Economy in Kalifornien getragen. Diese hat einen viel höheren Energiebedarf als angenommen, weil die Computer ständig laufen. Zugleich hat die New Economy den Straßenverkehr angekurbelt. Preisexplosion Die Strompreise haben wahre Bocksprünge vollführt. Kostete eine Megawattstunde Mitte 1998 zwölf Dollar, stieg der Preis im Juni auf das Zehnfache. Im ausklingenden Monat durchbrach der Strompreis kältebedingt die 200-Dollar-Marke. Ungeachtet der hohen Preise stehen die Versorger auf tönernen Beinen: Sie können nämlich die hohen Einstandspreise nur zum Teil auf die Verbraucher überwälzen, das Einnahmenloch beziffern Insider mit sechs Mrd. Dollar (102 Mrd. S/7,4 Mrd. EURO). Wer dafür zahlen soll, ist derzeit noch völlig offen. Die Stromversorger werden im neuen Energiegesetz, das im Jänner in Kraft tritt, voraussichtlich zu Langfristverträgen und einer Langfristplanung vergattert werden. Zusätzlich sollen sie die Möglichkeit erhalten, den Großhandelspool zu umgehen und Einzelverträge mit Erzeugern abzuschließen. Als Hauptgrund für das Chaos gilt die viel zu schnelle Deregulierung. Diese hat dazu geführt, dass die Konzerne die Investitionen in das Netz und die Reservehaltung vernachlässigt haben. Zugleich hat die Liberalisierung die Energielieferanten in die Bredouille gebracht. So hat sich das Eigenkapital der großen noch staatseigenen Stromversorger in den vergangenen vier Monaten halbiert. Weiteres großes Manko der Liberalisierung à la Kalifornien: Der Stromhandel und die daraus entstehenden Lieferverpflichtungen gingen nicht mehr unter einen Hut. Verschärft wurde die Situation noch dadurch, dass Broker mit Spekulationsgeschäften den Preisauftrieb angeheizt haben und auch unseriöse Anbieter am Markt aufgetreten sind. Milliardenklagen

Zusätzlich könnte auf Kalifornien eine Klageflut zukommen. Konsumentenvereine wollen einen Schadenersatz von rund zwei Mrd. Dollar für jene Kunden, die für strukturelle Fehlentwicklung zur Kasse gebeten wurden. (Clemens Rosenkranz, DER STANDARD, Printausgabe 29.11.2000)